Chiemsee – Der erste Abend der Herrenchiemsee-Festspiele im Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee gehörte Haydn. Das klug konzipierte Programm untersuchte, wie er den Krieg und damit das Militärische musikalisch verarbeitete: Die Symphonie Nr. 100, die „Militärsymphonie“, stand gegen die Messe „In tempore belli“, die Messe in Kriegszeiten, auch Paukenmesse genannt.
Gespielt und gesungen wurde in massiver Großbesetzung – entgegen der jetzt herrschenden Mode der Kleinstbesetzung. Da muss ein Orchester schon sehr beweglich agieren, um Haydns Witz und Esprit zu realisieren. Das Orchester „Klangverwaltung“ war es, und Andrew Parrot, der erneut den verstorbenen Enoch zu Guttenberg ersetzte, hatte viel Einfühlungsvermögen für diesen Esprit.
Nach der sehr spannungsvollen Einleitung begann die Symphonie als heiter-fröhlicher Geschwindmarsch, der schon etwas Tänzerisches hatte, und diese tänzerische Eleganz bestimmte alle Sätze. Die betörend schön abgetönten Holzbläser verwandelten den scheinbar militärischen Marsch-Charakter in ein preziöses Spiel: Krieg als musikalisch-ironisches Formspiel.
Auch wenn dann im zweiten Satz, angekündigt von einem Trompetensignal, die Janitscharen-Musik mit klingelndem Triangel, Becken und großer Trommel hereinbricht, hat dies etwas Lärmend-Kapriziöses und Ironisches. Im Menuett huschte so manchem Musikern ein Lächeln übers Gesicht, als wollten sie, bei so viel kompositorischer Kunstfertigkeit, sagen: „A Hund is er scho, dieser Haydn!“ – was dann das so geist- und fantasiereiche Finale bestätigte. Andrew Parrot hatte mit den Musikern seine Freude daran und spielte diese Freude genüsslich aus.
In der „Pauken-Messe“ donnert schon im Kyrie die Pauke drohend-leise. Die Chorgemeinschaft Neubeuern erschuf sich in diesem säkularen Prunksaal mit sattwarmem Klang ihren eigenen Kirchenraumklang, flehte inständig „Suscipe deprecationem“ im Gloria und gestaltete das „Et resurrexit“ im Credo als einen österlichen Freudenschrei. Parrot hielt alles durchaus ernst, edel und würdig, hetzte auch nicht durch die „Et-vitam“-Fuge, sondern nahm da ein feierliches Tempo, nahm alles rhythmisch beschwingt, aber auch markant und befeuerte den Chor immer wieder.
Die Solistinnen Carolina Ullrich (Sopran) und Sarah Fede (Alt) fühlten sich mit vollblühenden Stimmen in diese würdevolle Atmosphäre ein, weniger die männlichen Solisten (Daniel Jenz ersetzte Jörg Dürrmüller), vor allem nicht der Bassist Hanno Müller-Brachmann, der den angestrebten Kirchenraum mit einer Opernbühne verwechselte.
Im Agnus Dei flehten die Chorsänger innig um Frieden – der eben durch die Pauke und die Kriegstrompeten bedroht wird, alles strebt dem dramatischen Höhepunkt zu: Selten ist das „Dona nobis pacem“, diese Bitte um Frieden, musikalisch dringlicher und drängender auskomponiert. Das fanden auch die Zuhörer im ausverkauften Spiegelsaal, die lange und herzlich applaudierten.