Neubeuern/Rosenheim – „So a jungs Bürscherl – was werd des geb’n!“ So dachte – und wohl nicht nur sie – Hildegard Eutermoser, die zu den Gründungsmitgliedern der Chorgemeinschaft Neubeuern zählt und später lange Jahre das Chorbüro leitete. Und sie sprach vom mitreißenden Enthusiasmus des jungen Dirigenten von Beginn an, von der Anziehung von Pol und Gegenpol, vom charismatischen Magnetismus, den der junge Baron auf die Neubeurer ausübte, von dem, was später zum „Wunder von Neubeuern“ verklärt wurde. Das erzählte Hildegard Eutermoser, als die Chorgemeinschaft Neubeuern 2007 das 40. Gründungsjubiläum feierte. Und jetzt? Was bedeutete Enoch zu Guttenberg für ihr Leben? „Enoch hat unser gesamtes Familienleben und auch das Leben der anderen Chormitglieder geprägt. Ich hab ja mein Leben auf ihn und den Chor eingestellt. Und Enoch selber war eigentlich bei uns Familienmitglied. Früher haben wir ja das Chorbüro teilweise in unserem Haus gehabt, er hat ja bei uns gleichsam gelebt, und er ist bis zum Schluss Familienmitglied geblieben.“ Hildegard Eutermoser war für Enoch zu Guttenberg Sekretärin, persönliche Managerin, dazu Seelentrösterin und Aufbautrainerin, auch oft die Frau fürs Reale, und auch ein Stück Familienersatz: „Wenn er in Neubeuern war, ist er gekommen, hat sich aufs Kanapee gesetzt und war da daheim. Mir persönlich tut‘s so leid, weil er gesagt hat, jetzt bin ich wirklich glücklich, dass er jetzt den Lebensabend nicht mehr genießen kann. Er hat immer von zwei Seiten her gebrannt. Er wollte alles machen und alles mitmachen – das war er.“
Hildegard Eutermoser Guttenbergs frühere Sekretärin und Chormanagerin
Josef von Solemacher, ehemaliger Instrumentallehrer im Ignaz-Günther-Gymnasium, wohnhaft in Neubeuern und enorm hilfreich für Enoch zu Guttenberg in dessen Neubeurer Anfangsjahren, fragte im Jahre 1972 bei Hubert Huber an, ob er nicht Korrepetitor in Neubeuern machen möge. „Ich hab gesagt, ich schau mir das an – und dann hat es über 25 Jahre gedauert“, erzählt Hubert Huber. „Ich glaube, es waren wenige, die so lange mit ihm zusammen waren. Wir waren auch menschlich sehr verbunden und haben musikalisch wunderbar zusammengefunden. Was wirklich für mich einprägsam war: Ich war auch mit der Familie Guttenberg eng verbunden, weil ich die gesamten Familienfeiern in Guttenberg, Taufen, Erstkommunionen, Trauungen, Beerdigungen musikalisch gestaltet habe. Und bei den Wallfahrten des Malteserordens nach Rom (Enochs Schwager Johannes Freiherr von Heeremann ist ja der Präsident des deutschen Malteserordens) haben wir die Gottesdienste im Petersdom gestaltet, Enoch mit der Trompete und ich an der Orgel. Und Enoch hat mir die Möglichkeiten gegeben, in den zahlreichen Liederabenden bei den Einspielungen zu improvisieren. Ich hab ihm viel zu verdanken, denn die großen Werke wie Bachs Matthäuspassion, die Johannespassion und die h-Moll-Messe haben sich für mich erst erschlossen durch die Arbeit mit dem Neubeurer Chor, durch die Einstudierung bekommt man einen viel tieferen Einblick in diese Werke.“ Und was waren die letzten Erlebnisse mit Enoch zu Guttenberg? „Am letzten Pfingstmontag“, erzählt Hubert Huber, „war ich noch im Schloss Guttenberg, Enoch hatte ein dreitägiges Familienfest arrangiert, 40 Familienangehörige ungefähr waren da, dort hab ich den Gottesdienst gestaltet, das wollte Enoch unbedingt haben. Und da hat Enoch vor der versammelten Familie gesagt, ich hätte zusammen mit ihm die Chorgemeinschaft Neubeuern aufgebaut. Ich hab‘ geglaubt, ich hätte nicht richtig gehört.“ So ganz konfliktfrei war nämlich die Arbeit mit Enoch zu Guttenberg nicht. „Das war wohl die Altersweisheit“, schmunzelte Hubert Huber. Und dann schloss er: „Ich habe immer gedacht, Enoch wird einmal an meinem Grab eine Rede halten. Jetzt werde ich an seinem Grab stehen.“
Hubert Huber, ehemaliger Domorganist in Freising, Dozent an der Münchner Musikhochschule und langjähriger Chorassistent der Chorgemeinschaft Neubeuern
„Als ich Enoch zu Guttenberg kennenlernte, hatte er gerade seinen Fuß in Gips, ging mit einem eleganten Stock samt Silberknauf, legte bei den Proben den Fuß auf einen Stuhl und dirigierte mit trotzdem nicht erlahmendem Feuereifer. Er war einer der drei Dirigenten, die mich musikalisch geprägt haben (der erste war der Regensburger Domkapellmeister Georg Ratzinger, der zweite Ewald Hackenberg, ein völlig unbekannter Kirchenchorleiter in Nürnberg). Die Bach-Passionen höre ich nur noch mit Guttenbergs Ohren und in Guttenbergs Sinn. Guttenberg war charismatisch, hoch suggestiv, ein oft explosiver Feuerkopf, dessen Explosionen man lieber aus dem Weg ging, konsequent in allem, was er tat, immer voll glühender Hingabe an die Musik, deswegen hat er nur die Werke dirigiert, hinter denen er bedingungslos stehen konnte: eben ein unbedingter Bekenntnismusiker. Die Kritiker waren anfangs nicht immer einverstanden, er hat viel Häme aushalten müssen. Aber sein geradezu flammender Eifer war immer überzeugend. Kaltgelassen hat er niemand. Die Krönung seines musikalischen Lebens waren die von ihm gegründeten Herrenchiemsee Festspiele. Zu Guttenbergs 60. Geburtstag hatte der verstorbene Landkreiskulturreferent Klaus Jörg Schönmetzler ein ausladendes Theaterstück geschrieben, in dem alle Neubeurer Sänger mitspielten und das zum Thema hatte: die Suche des Ritters Enoch nach dem Gral: Die Festspiele auf Schloss Herrenchiemsee waren Enochs Gral. Auch seine Reden haben immer elektrisiert, er war ein begnadeter Rhetoriker. Gelebt hat er sein Leben immer auf der Überholspur. Persönlich war er sehr großzügig – noch heute bin ich erstaunt, wie viel von seinem sündteuren Cognac wir weggetrunken haben. Höchst eindrucksvoll waren die zahlreichen Einladungen in das Schloss Guttenberg, sei es zwanglos mit Hirschgulasch oder feierlich als gesetztes Essen. Und er war ein treuer Freund. Die Briefe an mich unterschrieb er immer mit ‚Dein getreuer Enoch‘. Und das wird er immer für mich bleiben.“
Rainer W. Janka,
Chormitglied in Neubeuern
von 1980 bis 2000 und Kulturkritiker aus Rosenheim
Heinz Baumgartner sagt es unter Tränen: „Stell Dir das vor: Meine letzte Veranstaltung mit meiner Firma, die ich mache – ist Enochs Beerdigung!“ Was war Enoch zu Guttenberg für ihn? Lange Pause, dann: „Mein dickster Freund, mein großer Gönner, ein hilfsbereiter Mensch, der mir in meiner Krankheit – auch finanziell – geholfen hat. Ich bin der chorälteste Mann. Wenn Du mit jemandem 50 Jahre beinand bist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du magst ihn oder du hast ihn dick. Und ich hab ihn sehr gemocht.“ Baumgartner vermeidet das noch größere Wort, auch wenn es in seiner Stimme liegt: Er hat ihn geliebt. Inwiefern war er auch Geschäftspartner? „Ich habe alle privaten und geschäftlichen Veranstaltungen für ihn durchgeführt, ich habe die Herrenchiemsee Festspiele technisch durchgeführt, ich hab bei ihm zuhause alles veranstaltet, ob seine Hochzeit oder die Taufen in der Familie, ich hab alles gemacht. Und das werde ich nie vergessen: Ich hab ja für meine Firma alles von Enoch gelernt, vom Geschmack bis zur richtigen Stellung der Gläser auf dem Tisch!“ Hat er mitbekommen, dass es ihm in letzter Zeit gesundheitlich schlecht ging? „Ja“, ist die knappe Antwort, „Hildegard Eutermoser und ich waren über alles informiert, wir haben schon alles geahnt – aber der Schlag war der gleiche.“ Und dann sagt er sinnend weiter: „Wenn ich da dran denke: Was hab ich 50 Jahre lang jeden Dienstag, am Tag der Chorprobe, gemacht? Ich habe mich auf jeden Dienstag gefreut, auf jede Tour, auf die wunderbaren Konzerte, die vielen Auslandsreisen, die die Neubeurer Enoch zu verdanken haben.“ Und weiß er, was mit den Herrenchiemsee Festspielen passieren wird? „Für heuer ist das Festival gesichert. Den Brahms-Liederabend mit dem Titel „Vineta“ übernimmt Karl Prokopetz (ein früheres Chormitglied, der Dirigent geworden ist und schon oft Enoch zu Guttenberg ersetzt hat), worüber ich mich sehr freue.“ Die Bach-Konzerte auf Frauenchiemsee übernimmt Andrew Parrot. Dann ist Baumgartner in Eile, weil er nach Guttenberg fahren muss, um die Beerdigung mit den Söhnen zu besprechen: sein letzter Freundschaftsdienst für seinen Enoch.
Heinz Baumgartner, Gründungsmitglied der Chorgemeinschaft Neubeuern, Freund und als Event-Manager auch Geschäftspartner
Zusammengetragen
von Rainer W. Janka