Rosenheim – Verschleierte Balletttänzerinnen, Fliegerbomber und Pistolen auf Orienteppichen und Kissen, barbusige Frauen mit Brusthaar, Handtücher mit KZ-Nummern, ein Film, in dem der Abtransport im Viehwaggon von Juden ins KZ gezeigt wird: Die Ausstellung „Broken Lines“ in der Städtischen Galerie, in der Arbeiten von Adidal Abou-Chamat, Jutta Burkhardt und Rose Stach zu sehen sind, scheint ganz und gar nicht in die Advents- und Weihnachtszeit zu passen.
Die drei Künstlerinnen sind schon seit Jahren Teilnehmerinnen in den Jahresausstellungen des Kunstvereins Rosenheim und wurden in der Städtischen Galerie jetzt erstmals in einer gemeinsamen Schau zusammengeführt. Einige der Arbeiten waren deshalb auch schon im Laufe der Jahre in der Galerie zu sehen und haben zum Staunen, zur Verwunderung oder zur Bewunderung Anlass gegeben. In der klug zusammengestellten Ausstellung erzielen sie im Zusammentreffen noch weitaus größere Wirkung. Der Betrachter wird überrascht, verwirrt, verstört, provoziert, schockiert, verunsichert, überfordert, aber manchmal auch erheitert. Er begegnet Kunst, die fordert, die aufrüttelt, Stellung bezieht, nachdenklich macht und nicht einfach konsumierbar oder mit kunstästhetischen Kriterien zu messen ist.
In Foto- und Videoarbeiten, Installationen und Zeichnungen untersuchen die drei Künstlerinnen auf unterschiedliche Weise ethnische, kulturelle und geschlechtliche Identitäten. Sie zeigen wie veränderbar, brüchig und verletzlich Identität sein kann. Sie zeigen, wie Lebenslinien brüchig sind und gebrochen werden. Sie zeigen Vorurteile und Klischees. Sie zeigen, welche Folgen Intoleranz, Ablehnung und Ausgrenzung haben. Sie zeigen Krieg und Gewalt, Rassismus und Sexismus, Flucht und Vertreibung. Sie bringen dazu, die eigenen Ansichten zu überdenken.
Die Installation „Transition“ von Adidal Abou-Chamat nimmt die große Wand im großen Saal der Galerie ein. Mit Fotos, Leuchtkästen, Zeichnungen und Objekten macht die in München geborene Künstlerin und Ethnologin in 17 Arbeiten Identität und Identitätsfindung zum Thema. Rose Stach hat hier aus Sandsäcken einen „Schutzwall“ zum Nebenraum aufgebaut. Jutta Burkhardt stellt davor in einer Vitrine fünf Knäuel mit „ausgefallenem Künstlerhaar“ aus, das sie von 2006 bis Februar 2017 gesammelt hat.
Die verschiedenen Rollenbilder beschäftigen Adidal Abou-Chamat auch auf Grund ihrer Herkunft. Ihr Vater war ein syrischer Widerstandskämpfer, der 1941 zur Offiziersausbildung in der Wehrmacht vom Großmufti von Jerusalem nach Nazi-Deutschland geschickt wurde. Ihrem Vater hat sie eine große Installation unter dem Titel „Rites of Passage“ gewidmet. Überzeugend ist das Video und sind die Fotos „Dreaming of…“ einer ganzkörperverschleierten Balletttänzerin und die Videoarbeit „Ver-wicklung“ in der eine Frau sich auf verschiedenste Weise ein Koptuch umlegt. Unter anderem bindet sie sich damit auch den Mund zu.
Klischees von Weiblichkeit
Klischees von Weiblichkeit und Geschlechterrollen sind das Thema der Schweizerin Jutta Burkhardt. Sie führt in ihren Tuschezeichnungen und wandgroßen Installationen die Betrachtenden an die Abgründe des Alltäglichen. Mit ironischer Überzeichnung von Klischees wie etwa dem weiblichen Narzissmus entlarvt sie die Risse im Regelwerk der Konventionen, wenn sie in den digitalen Fotoprints „Toison d’or“ Haare auf der Frauenbrust sprießen lässt oder Haare die Rücknaht eines Damenstrumpfes bilden. Ganz anders sind Burkhards fotografische Stillleben mit Zikaden. Aber auch hier ist die Identität des sich verpuppenden Insekts das Thema.
Am eindringlichsten weisen die Arbeiten von Rose Stach auf Krieg, politische Gewalt und Rassismus hin. Die Münchner Künstlerin zeigt alltägliche Gegenstände in neuen Zusammenhängen und erzählt damit dramatische Geschichten. Aus einem Orientteppich macht sie dem Titel entsprechend einen „Bombenteppich“, wenn sie im Cut-Out-Verfahren aus dem schwarz übermalten Teppich einen Flieger mit fallenden Bomben hervortreten lässt. Auf Kissen erscheinen Pistolen und Gewehre („Under my pillow“). Schöne Wolkengebilde stellen sich als Staubwolken von Bombardierungen heraus („Clouds“). In Handtücher hat sie die Zahlentätowierungen von KZ-Häftlingen eingewebt und den Titel „Ich wasche meine Hände in Unschuld“ gegeben. Tief betroffen macht die Videoarbeit „Choices“. Es zeigt eines der seltenen Filmdokumente, in denen Juden zum Abtransport ins KZ in Viehwaggons verladen werden. Der Soldat schließt die Türe, der Zug fährt ab. Dann aber lässt die Künstlerin den Film rückwärts laufen. Der Zug fährt ein. Der Soldat öffnet die Tür. Die Gefangenen können aussteigen!
Diese Szene und die Ausstellung passen doch in diese Zeit zum christlichen Weihnachtsfest, das im Grunde keine gefühlsselige Show ist, sondern durch die Geburt des Kindes in der Krippe auf die Not der Menschen hinweist und Friede auf Erden den Menschen verheißt.
Zur Ausstellung begleitend findet am Samstag, 13. Januar, um 15 Uhr ein Künstlergespräch mit den Künstlerinnen und der Kunstphilosophin Claudia Fischer statt. Anmeldung unter Telefon 08031/ 3651447 oder Internet: staedtische-galerie@rosenheim. Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr. Montags am 24., 25., 26. und 31. Dezember sowie am 1. Januar ist geschlossen.