Die Verschmelzung von Schrift und Bild

von Redaktion

„Im Duft der Zeit“ – Typografien von Josua Reichert in der Priener Galerie im Alten Rathaus

Prien – Er gilt als einer der renommiertesten europäischen Künstler auf dem Gebiet der Typografie. Josua Reichert wurde im Juni 1937 in Stuttgart geboren und lebt heute in Haidholzen bei Rosenheim. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem 2010 mit dem Jerg-Ratgeb-Preis für sein Lebenswerk geehrt, einem der bedeutendsten Kunstpreise im deutschsprachigen Raum. Nun ist ein Teil seines umfangreichen Werks auch anlässlich seines 80. Geburtstages in der Priener Galerie im Alten Rathaus zu sehen.

Bei Josua Reichert verschmelzen Schrift und Bild, Text und Typografie zu einer Einheit und führen zu einer neuartigen, ästhetischen Dimension. Dabei vergisst der Betrachter ganz, was an handwerklicher Technik dahintersteckt: Buchdruck, Handpressendruck, Reibedruck auf Kupferdruckkarton oder Japanpapier und vieles mehr. Am meisten verblüfft den Beschauer, wie viel Geschichte in den Werken verborgen ist und wie viel Literatur bis hin zur Poesie. Reichert hat sich von der gesamten Weltliteratur beeinflussen lassen. Von arabischen und griechischen Dichtern bis zu Kafka und Brecht. Sein Textkanon von der Antike bis zur Gegenwart. Vor allem Goethe hat es ihm angetan. Mit ihm teilt Reichert seine Leidenschaft für Italien. Zu sehen sind in der Ausstellung ein Reiberdruck nach Goethes Gedicht „Gingo biloba“, eine Silhouette Goethes nach einem Scherenschnitt um etwa 1780 (Reiberdruck, Linolschnitt, Japanpapier im Raum 2), Goethe in Palermo 1987 (Reiberdruck, PVC Schnitte und Text als Offsetdruck, Raum 2), „Palma di Goethe“ (Offsetdruck nach einem Foto von Josua Reichert aus Fano, Handdruck mit Kniehebelpresse, Raum 2).

Doch auch weniger poetische Texte hat Reichert verinnerlicht. So „Ich, der Überlebende“ von Brecht (Handoffset, Reiberdruck, Holztypen, Raum 1).

Über Jahrhunderte hinweg reichen sich also die Schriftsteller in Reicherts Werk die Hand. Dabei gilt für ihn ein Kriterium: Die Texte müssen sein Innerstes berühren und seine Kreativität anregen.

Buchstaben

als Sinnträger

Die Buchstaben sind für ihn Sinnträger, aus denen sich Formfantasien entzünden können. Die Schriftbilder, die er dem Betrachter vor Augen führt, verlangen also sowohl Sehen als auch Lesen.

Reichert druckt auch Typobilder, die er „Poesia Typographica“ nennt: zumeist Buchstabenarchitekturen und Buchstabenlandschaften, aber auch Bilder, auf denen Buchstaben gänzlich fehlen, nämlich Kompositionen aus Linien, Punkten, Kreisen, Rechtecken und Dreiecken. Die Komposition daraus wirkt wie ein Gemälde. Die sogenannten „Handdrucke sind oft Reiberdrucke mit dem Löffel, die tatsächlich wie gemalt erscheinen.

Eine Besonderheit in der Ausstellung sind die vier Druckfahnen „Geschichte des Porzellans“ im Raum 7. Es sind Stempeldrucke, Holztypen, Holzlatten auf Kupferdruckkarton, später auf Leinwand aufgezogen. Der dazugehörige Text stammt vom Künstler selbst.

Im Foyer des Erdgeschosses ist ein Handpressendruck mit arabischen und lateinischen Lettern zu sehen. Er heißt „Im Duft der Zeit“. Das ist auch der Titel der Ausstellung. Die Worte stammen vom arabischen Mystiker, Philosophen und Dichter Ibn Arabi. Bei der Ausstellungseröffnung deutete der Vorsitzende des Kulturfördervereins Prien, Dr. Friedrich von Daumiller, die Worte so: „Die Zeit verduftet nicht, sie verrinnt nicht, sondern sie hält an, denn Buchstaben bleiben für immer“.

Davon zeugt die Ausstellung. Da sind im Raum 4 neben dem Text, „Die Brücke“ aus dem Amsterdamer Schriftmusterbuch drei griechische Sigmas für Psappho zu sehen oder im Raum 5 ein Pindar-Fragment mit Übersetzung von Hölderlin neben einer Komposition aus drei kyrillischen Buchstaben.

Ein Großprojekt, dem sich Reichert mit Beharrlichkeit verschrieb, stellt der „Haidholzener Psalter“ dar (Raum 3). Innerhalb zweier Jahrzehnte entstanden über 100 verschiedene Drucke von rund 30 Psalmen. Hervorzuheben sind die Fragmente der viermal zwölf Tafelgesetze im Raum 2 als ältestes Gesetz der Welt.

Werkzeug des Typografen ist in einer Glasvitrine zu besichtigen: Löffel, Handpresse und Typen aus Eisen, Messing und Plastik. In einer weiteren Glasvitrine sind Bücher von Josua Reichert zu sehen, so „Der Druckereiwagen. Aus dem Reise, Tage- und Bilderbuch des Druckers“.

Die Ausstellung ist bis 4. Februar dienstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr in der Galerie im Alten Rathaus in Prien zu sehen.

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