Nußdorf – Ein großes lichtdurchflutetes Gebäude, rundum alter Baumbestand und der freie Blick in die wunderschöne Innlandschaft bei Neubeuern ist Arbeits- und Inspirationsstätte von Florian Lechner. Betritt man den großen Atelierraum in Urstall nahe Nußdorf, eröffnet sich die Passion des international bekannten und ausgezeichneten Künstlers wie ein offenes Buch. Seit mehr als 40 Jahren beschäftigt ihn das Thema Glas, das mit unglaublich großem technischen Aufwand bearbeitet wird. Es entstehen raumgreifende Objekte, die Materialien miteinander vereinen und zu Sinnbildern des Geistigen im Materiellen verschmelzen.
Mit großer Leidenschaft erzählt Florian Lechner, der Kunsterziehung und Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in München studierte, vom einschlägigen Ereignis in der Kathedrale von Chartres, das er als junger Kunststudent in Paris und Tournai erlebte. Auf Anraten seines damaligen Lehrers Joseph Lacasse unternimmt er Anfang der sechziger Jahre eine Wallfahrt zur frühgotischen Kathedrale. Zusammen mit 14000 Studenten erlebt er im leeren Kirchenraum das durch die romanisch-gotischen Fenster fallende Licht, das ihn in Kombination mit den angestimmten Gesängen tief berührt.
Das farbige Licht allein wird zum „überirdischen Ereignis“, heißt es in vielen Aufzeichnungen über die berühmte Kathedrale von Chartres. Erst durch die Farb- und Lichtstimmungen entwickelt sich die imposante Architektur zu dem was sie verkörpern soll: Alles Irdische hat seinen Ursprung in der göttlichen Idee. Infolgedessen geht das Materielle aus dem Geistigen hervor: „Meine Arbeit ist der Versuch, geistige Aspekte in der Materie Glas sichtbar zu machen. Dabei weisen die Phänomene Licht, Raum und Klang über die materielle Ebene unserer Welt hinaus.“
Dieser Eindruck von Raum, Klang und Licht verfestigt sich und begleitet den Künstler bis heute bei der Umsetzung seiner zahlreichen Projekte. Für viele Arbeiten konnte er Auszeichnungen, wie die Deutsche Studienstiftung, Exemplapreis München und den Prix de Creation Chartres in Empfang nehmen.
Transparent und
lichtdurchflutet
Transparent, zerbrechlich, lichtdurchflutet – das Thema Glas zieht sich konstant durch das Werk des 1938 in München geborenen Künstlers. Mit großem Aufwand entwickelt er im Laufe der Jahre großformatige Schmelzgläser, die ihm ermöglichen, transluzente Scheiben zu konstruieren, die seit 1980 im Atelier in Nußdorf am Inn entstehen. In einem riesigen selbstkonturierten Brennofen erhält das Glas seine Struktur, passt es sich im Schmelzvorgang der vom Künstler vorgegebenen Form an. Verwendet werden dafür Schamotteformen, deren Relief sich den weich gewordenen Gläsern anpasst, so dass eine lebendig bewegte Oberfläche entsteht. Dieses Verfahren erlaubt Florian Lechner nicht nur in großen Formaten zu arbeiten, sondern entspricht seinem Interesse an Grenzsituationen.
Für den Umgang mit dem Werkstoff ist das Ausloten dieser Grenzen zentral. Raumgrenzen, die von einer gläsernen Scheibe bestimmt und durch die Transparenz des Materials zugleich negiert werden. Der spannende Moment beschreibt den Gehalt vieler Arbeiten. Wieviel Spannung trägt das Element in sich oder hält es aus? Glas als eine Zone des Übergangs.
Ob Architektur oder Skulptur, die Bereiche sind nicht immer auseinanderzuhalten. Auch handelt es sich bei den riesigen Glasschalen um Objekte, die nicht nur das Medium der freien Plastik abdecken, sondern zugleich zum Klangträger werden, indem sie der Künstler selbst in Schwingung versetzt.
Ein unglaublich weites Spektrum liefern die Werke. Ob als Lichtträger, Sinnbild von Zerbrechlichkeit oder das Ausloten von Spannung, die Ansätze sind vielfältig. Oft werden Skulpturen und Objekte mit Materialien wie Holz, Stein oder Metall kombiniert und mit Schriftzeichen oder philosophischen Wortspielen zur Vollendung gebracht. Große Glasstelen werden mit Hammer und Meißel behauen, erhalten dadurch Einschnitte, Bruchstellen und scharfkantige Linien, die das auftreffende Licht sichtbar werden lassen.
Über Jahre etabliert sich Florian Lechner mit zahlreichen Konzepten im architektonischen Kontext, freien Glasskulpturen bis hin zur Performance mit Glas, Licht, Bewegung und Klang.
Eines der jüngeren Projekte ist ein Beitrag auf der „Biennale Internationale du Verre“ in Straßburg. Im historischen Brückenbau „Barrage Vauban“ waren seine Werke als Teil der Ausstellung „Lux Aeterna“ im November 2015 zu sehen. Die Straßburger Tageszeitung DNA (Dernières Nouvelles d’Alsace/Elsässische Neueste Nachrichten) schreibt unter dem Titel „Le verre vivant de Florian Lechner“, dass seine Säulen eine vitale und aufsteigende Energie besäßen und zitiert den Künstler: „Ich suche das Licht in meinen Säulen festzuhalten, so als wäre es berührbar.“
München, Rouen, Frankfurt, Ettal, London, und Lausanne beschreiben weitere wichtige Stationen in Lechners Schaffen. Im Maximilianeum in München wurde ein „Raum der Stille“ gestaltet, der zu Meditation und Rückzug in einem Umfeld aus Betriebsamkeit und Ruhelosigkeit einlädt. Holz, Glasprismen und die Wandgestaltung mittels zweier Schalensegmente, die mit einem Zitat aus dem Lukas-Evangelium auf Deutsch und Griechisch versehen sind, verbinden sich mit dem Klang einer Glasschale, der das Erleben der Stille erleichtern soll.
Die bereits 1991 entstandene ökumenische Christophorus-Kapelle am Erdinger Flughafen wurde kürzlich renoviert und neu eingeweiht. Im Zentralbereich entschied man sich damals für einen Ort der Besinnung als Kontrast zur Geschäftigkeit und Lautstärke des Flughafengebäudes. Die Kapelle wird dominiert von Glaswänden und sieben drei Meter hohen Glasstelen hinter dem Altar in Transparent, Weiß und Blau. Die farbigen Glasfenster als Medium des Lichtes unterscheiden und verbinden zugleich das Draußen und Drinnen. Sie lassen „einen Ort des Friedens“ entstehen, wie ihn der Künstler selbst gerne bezeichnet.
Trotz der zahlreichen internationalen Erfolge und Projekte stellt Florian Lechner seine Skulpturen auch immer wieder gerne in seiner Werkstatt in Urstall aus. Der geborene Münchner kam bereits als Kind nach Neubeuern und hegt eine tiefe Verbindung zu Landschaft und Kultur. So machte er im Jahr 2009, parallel zur Erforschung des Tiefbrunnens in Neubeuern, im Rahmen einer Kunstaktion das uns bislang verborgene, unzugängliche und von vielen unterschätzte Bauwerk durch Klang erfahrbar.
Ausstellung in Neubeuern
Auch heuer wird eine Werkauswahl Lechners in einer Sonderausstellung in der Galerie am Markt zu sehen sein. Von 3. bis einschließlich 12. November ehrt der ortsansässige Künstlerkreis den Kunstphilosophen pünktlich zu seinem achtzigsten Geburtstag im kommenden Jahr. Geöffnet ist freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags von 14 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 19 Uhr.