Hauptziel der Währungshüter sind stabile Preise. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt für den Währungsraum mit seinen 19 Ländern eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Deutlich entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben – in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.
Das Zwei-Prozent-Ziel der EZB ist jedoch in weite Ferne gerückt: Im Oktober fiel die Inflation in Deutschland auf 1,1 Prozent. Im Euroraum waren es zuletzt sogar nur 0,8 Prozent – tiefster Stand seit drei Jahren. Mit einer Flut billigen Geldes versuchen die Währungshüter seit Jahren, die Wirtschaft anzukurbeln. Strafzinsen sollen Banken dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben, statt Geld bei der EZB zu parken. Schuldner profitieren im Zinstief von günstigen Konditionen.
Mit der Neuauflage der Wertpapierkäufe will die EZB Konjunktur und Inflation zusätzlich auf die Sprünge helfen. Der Kauf von Staatsanleihen hilft Regierungen, sich günstiger frisches Geld zu besorgen. Denn wenn die EZB große Bestände kauft, müssen Staaten für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten.
In der Wirtschaftswissenschaft läuft inzwischen eine Debatte, ob das Inflationsziel, ein zentraler Baustein der EZB-Politik, noch angemessen ist. Viele Fachleute haben Zweifel – beispielsweise Roland Döhrn vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Der Ökonom hält es für erwägenswert, dass „die Notenbank Abweichungen vom Inflationsziel nach unten hinnimmt.“ Andere Experten wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer weisen darauf hin, dass auch die Digitalisierung der Arbeitswelt die Inflationsrate tendenziell nach unten drückt – etwa weil Roboter einfache Tätigkeiten übernehmen und Künstliche Intelligenz längerfristig auch anspruchsvollere Arbeit reduziert – und damit Lohnkosten wegfallen.
Erspartes bringt keine Zinsen mehr
Seit Jahren regen sich viele Bürgerinnen und Bürger über die Geldpolitik der Zentralbank auf. Diese machen sie dafür verantwortlich, dass ihr Erspartes keine Zinsen mehr bringt und damit ihre Altersvorsorge gefährdet. Denn lange Zeit schon liegt der Zinssatz der Zentralbank bei Null. Viele Bürger fürchten auch, dass die Geldbombe irgendwann explodiert, eine gigantische Krise auslöst und ihr Eigentum vernichtet.
Die EZB unter ihrem bisherigen Präsidenten Mario Draghi selbst sieht das völlig anders. Eine gewisse Inflation sei nötig, damit es der Wirtschaft und damit auch den Arbeitnehmern gut gehe. Allerdings erreicht die EZB dieses Ziel bislang partout nicht – egal, welche Hebel sie auch umlegt.
Vielleicht hastet die Notenbank also einem Ziel hinterher, das schwerer oder augenblicklich gar nicht mehr zu erreichen ist. Dann bräuchte es die Geldschwemme nicht, und die Zinsen könnten mal wieder steigen.
Liegt die Inflation möglicherweise dauerhaft niedrig, wodurch das EZB-Ziel von zwei Prozent veraltet wäre? Ein wichtiger Gedanke in dieser Diskussion: Der globale Handel im Internet führt dazu, dass viele Waren billiger werden. Wenn man zum Beispiel für 9,99 Euro ein Monats-Abo bei einer Musik-Streaming-Plattform bucht, kann man sich Millionen Songs anhören. Schallplatten oder CDs zu kaufen, war früher sehr viel teurer. Ähnliches gilt für den Kauf von Kleidung und anderen Konsumgütern, die Internetshops und Plattformen wie Amazon anbieten.
Online-Handel verbilligt Produkte
„Dank des Internets können Hersteller den Zwischenhandel ausschalten und ihre Produkte oder Dienstleistungen direkt an die Endkunden verkaufen“, sagt Ökonom Döhrn. „Das mag weltweit preissenkende Effekte auslösen, die das Inflationsziel der EZB von knapp zwei Prozent in Frage stellen.“
Diese Argumentation stehe allerdings noch auf wackeligen Füßen, räumt Döhrn ein. Denn der Effekt, dass die Wettbewerbsintensität der Internetwirtschaft die Verbraucherpreise dämpft, lässt sich nur schwer nachweisen. Gerade aus dieser Unsicherheit entwickelt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel sein Argument. „Warum sollte die EZB an ihrem Inflationsziel festhalten, obwohl der Mechanismus schwer zu erklären ist, und sie es trotz jahrelanger Versuche nicht erreicht?“
Plädoyer für eine Bandbreite
Kooths plädiert dafür, die Zentralbank solle das „scharfe Inflationsziel von nahe zwei Prozent“ durch eine „Bandbreite von beispielsweise null bis zwei Prozent“ ersetzen. Das gäbe der Geldpolitik mehr Flexibilität und ermöglichte den Verzicht auf das Anleihekaufprogramm.