LESER FRAGEN – EXPERTEN ANTWORTEN

Wer erbt das Vermögen?

von Redaktion

Wolfram H.: „Mein Vater hat mit seiner zweiter Frau 1996 ein Testament gemacht, in dem sich beide wechselseitig als Alleinerben einsetzen. Für den Fall des Letztversterbenden sollen unsere Kinder zu gleichen Teilen erben. Ich habe noch zwei Geschwister, die zweite Frau meines Vaters hat einen Sohn. Erben nach dem Tod der zweiten Frau alle vier Kinder zu gleichen Teilen? Oder kann die zweite Frau ihren Sohn als Alleinerben einsetzen? Mein Vater ist 1997 verstorben.“

Wenn Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichten, stellt sich regelmäßig die Frage, ob der länger lebende Ehegatte an eine darin enthaltene gemeinsame Schlusserbeneinsetzung gebunden ist oder hiervon abweichen und neu testieren kann. Beide Varianten sind theoretisch denkbar.

Durch Auslegung des Testaments ist herauszufinden, welche Alternative die Eheleute wirklich gewollt haben. Wenn aus dem Testament keine eindeutige Vorgabe entnommen werden kann, so hilft die gesetzliche Vermutung des Paragraf 2270 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch: Wenn als Schlusserben nahe Verwandte des Erstverstorbenen eingesetzt sind, so geht das Gesetz von einer Bindungswirkung aus. Dahinter steht folgende Überlegung: Wenn der Erstversterbende seinen Ehegatten als Alleinerben einsetzt, enterbt er damit gleichzeitig seine potenziell erbberechtigten Verwandten auf seinen Todesfall. Als Ausgleich will er, dass die so enterbten Personen jedenfalls später, nach dem Tod des länger lebenden Gatten, erben. Um dies sicher zu stellen, muss die Schlusserbeneinsetzung für den überlebenden Gatten unabänderlich, also bindend sein. Die Bindung hat zur Konsequenz, dass ein späteres Testament der Ehefrau unwirksam wäre, wenn darin die Schlusserben schlechter gestellt oder gar enterbt würden. Für Ihren Fall heißt das: Sie erben also nach dem Tod der Ehefrau zusammen mit den anderen drei Kindern jeweils ein Viertel des Nachlasses der Ehefrau. Wichtig ist: Eine bindende Schlusserbeneinsetzung betrifft nicht nur das Vermögen des Erstverstorbenen, sondern das verschmolzene Vermögen beider Ehegatten, das der Zweitversterbende hinterlässt. Bitte beachten Sie, dass Ihre Stiefmutter zwar kein abweichendes Testament mehr errichten kann, in ihrer lebzeitigen Verfügungsbefugnis jedoch nicht eingeschränkt ist. Problematisch wären allerdings Schenkungen des überlebenden Gatten, denn solche könnten von jedem Schlusserben unter bestimmten Voraussetzungen nach dem Tod des überlebenden Ehegatten zurückgefordert werden.

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