Eine Insel für die letzten Wochen

von Redaktion

Unheilbar kranke Menschen sollen auf der „Hospizinsel“ einen Ort finden, an dem sie bestmöglich begleitet in Würde sterben können. Im Interview erklären Josef Hell als Geschäftsführer des Anna-Hospizvereins Mühldorf und Erika Koch als Leiterin des Palliativteams, für welche Patienten die neue Einrichtung in Frage kommt.

Frage: Über 20 Jahre setzt sich die Hospizbewegung im Landkreis Mühldorf dafür ein, die Not von sterbenden Menschen zu lindern. Dabei ist der Verein immer wieder auch neue Wege gegangen. Sind wir also nun reif für die Hospizinsel?

Josef Hell: Ja, wir sind reif für die Insel, weil der Bedarf schon lange besteht. Und wir sind als Landkreis gereift für die Insel, weil die breite und solidarische Unterstützung vieler Bürger den Start des Projektes erst ermöglichten. So soll eine hospizähnliche Versorgung entstehen, die in vielen Fällen genau das ist, was der Patient am Lebensende braucht. Individuell, wohnortnah, durchführbar.

Frage: Die Hospizinsel soll eine Lücke in der stationären Versorgung in der Region schließen. Wie macht sich diese Lücke in der täglichen Arbeit mit sterbenden Menschen bemerkbar?

Josef Hell: In Vilsbiburg gibt es ein stationäres Hospiz, also eine spezialisierte Pflegeeinrichtung für unheilbar kranke Menschen am Lebensende. Davon abgesehen, dass die Wartezeit für einen Platz oft mehrere Wochen beträgt, sehen wir seit Jahren, dass es Palliativpatienten gibt, die zwar mehr Betreuung brauchen als in einem Pflegeheim oder zuhause möglich ist, aber eigentlich nicht die Maximalversorgung eines stationären Hospizes benötigen.

Frage: Wie soll das konkret in der Praxis aussehen?

Erika Koch: Nehmen wir an, da gibt es einen 58-jährigen Mann, der von heute auf morgen erfährt, dass er unheilbar an Lungenkrebs erkrankt ist. Er ist geschieden, lebt alleine, die Kinder sind längst aus dem Haus. Als er nach einer Atemnotattacke in die Klinik eingeliefert wird, stellt sich die Frage, wie und wo er seine letzten Wochen verbringen will.

Josef Hell: Der Mann will aber nicht in ein Pflegeheim verlegt werden, sondern er will zurück nach Hause. Doch als ihn dort die nächste Attacke erreicht und seine Angst und Panik immer größer werden, ist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung unumgänglich. Nicht so intensiv, wie sie in einem stationären Hospiz gewährleistet wird, aber mehr als eben zu Hause möglich ist. Gäbe es die Hospizinsel schon, wäre das der passende Ort für ihn.

Frage: Was kann die „Insel“, was das Pflegeheim nicht kann?

Erika Koch: Die Struktur im Alltag eines Pflegeheims ist streng getaktet. Und sie besitzt eher einen medizinisch-kurativen Ansatz, wenn es um ein möglichst langes aktives Leben im Alter geht. Auf der Hospizinsel stehen aber die letzten Sorgen und Wünsche eines sterbenden Menschen im Mittelpunkt. Wenn sich also der krebskranke Mann beispielsweise einen letzten Besuch in seinem Lieblingscafé wünscht, dann lässt sich das verwirklichen. Mit geschultem Personal und mit deutlich mehr Zeit als im Regelbetrieb eines Pflegeheims.

Josef Hell: Deshalb haben wir uns auch bewusst für den Begriff ‚Insel’ entschieden, weil es für einen besonderen Ort steht, an dem die betroffenen Menschen trotz aller widriger Umstände der schweren Erkrankung bestmöglich begleitet werden können. Dabei unterstützen ehrenamtliche Hospizbegleiter die Pflegenden. Die „Insel“ ist ein Ort, an dem sich Patienten und Angehörige sicher fühlen können, ein Ort der Würde und Menschlichkeit – angegliedert an das Adalbert-Stifter Seniorenwohnen in Waldkraiburg und eingebettet in die Struktur, die im Landkreis bereits vorhanden ist.

Erika Koch: In unserem Fall geht es also um die Frage: Wie viel mehr Pflegezeit als in der Regelversorgung braucht ein 58-jähriger krebskranker Mann am Lebensende, damit seine Betreuung bedürfnisgerecht und gut genug ist?

Frage: Ihre Antwort?

Erika Koch: Es geht um etwa doppelt soviel Zeit wie durch die Regelversorgung zur Verfügung steht. Deshalb will der Hospizverein in den vier Appartements zusätzlich 1,5 Stunden Pflege pro Patient und Tag ermöglichen. So bekommt der sterbende Mann zum Beispiel mehr Zeit für die Körperpflege, die einfach immer länger dauert, je schwächer er wird. Oder Zeit für eine sogenannte Sitzwache, die ihm nachts das Gefühl gibt nicht allein zu sein.

Josef Hell: Aus meiner Sicht ist es ein vergleichsweise überschaubarer Mehraufwand, wenn man bedenkt, was es kosten würde, unseren todkranken Patienten bei jeder Atemnot- und Panikattacke mit dem Rettungswagen in die Klinik zu fahren. Die Zeit am Lebensende, in der besonders viel Unterstützung gebraucht wird, macht oft nur wenige Wochen aus.

Erika Koch: Durch die OVB-Weihnachtsspendenaktion kann die Anstellung von zusätzlichen Pflegefachkräften für die Hospizinsel für die nächsten drei Jahre gesichert werden. So gesehen verwandelt sich jede Spende unmittelbar in Zeit und Zuwendung für die Betroffenen. Ein Wert, der am Lebensende eigentlich unbezahlbar ist. Interview: Wolfgang Haserer

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