München – Es ist Freitag, ein paar Stunden vor dem endgültigen Brexit, und plötzlich herrscht ein bisschen Hektik in der Brienner Straße 55 in München gleich beim Königsplatz. Eine Kundin sagt: „Es kommt mir vor, als müsste ich jetzt richtig horten.“
Die Dame hat bei „Pomeroy & Winterbottom“, einem britischen Spezialitätenladen mitten in der Landeshauptstadt, gerade schon Shortbread und andere Süßigkeiten an die Kasse gelegt, doch sie geht noch mal zu den Regalen – sie will noch mehr britische Produkte mitnehmen. Sicher ist sicher. Denn Inhaber Wally Schoch, 69, wird seinen Kultladen schon bald schließen. So langsam sickert die Information bei seinen Stammkunden durch. Er führt an diesem Tag das immer gleiche Gespräch, manchmal auf Englisch, manchmal auf Deutsch. Das Gespräch geht so:
Kunde: „Stimmt es wirklich, dass der Laden schließt?“
Wally Schoch: „Ja.“
Kunde: „Etwa wegen des Brexits?“
Wally Schoch: „Ja, ich muss. Es geht nicht anders.“
Das Geschäft hat Schwarztee, Tassen, Orangenmarmelade, Whisky, Bier aus London, Cider aus Gloucester an der walisischen Grenze, Clotted Cream, eine Biografie der Queen und hunderte andere Produkte aus dem Vereinigten Königreich im Angebot. Aber jetzt zieht Schoch die Notbremse. „Bald gibt es zwischen acht und 18 Prozent Zölle auf meine Produkte“, sagt er. Die Preise, die er verlangen muss, sind eh schon stattlich. Eine Tafel englische Schokolade kostet zum Beispiel 4,95 Euro. „Schlagen Sie 18 Prozent drauf“, sagt Schoch. Dann ist man bei fast sechs Euro. „Irgendwann sagen die Kunden: Warum muss ich das kaufen?“
Noch ist die Zollfrage nicht abschließend geregelt. Die nächsten elf Monate bleibt zwischen EU und Vereinigtem Königreich alles beim Status quo, Über einen Verbleib in der Zollunion oder über ein Handelsabkommen muss erst verhandelt werden. Aber Schoch ist sicher, dass es hohe Zölle geben wird – vergleichbar mit den Zöllen, die die EU von Nicht-EU-Ländern verlangt.
Bis Ende des Jahres, sagt der Ladeninhaber, könne er seine Produkte noch zollfrei importieren. Aber schon Ende April steht die Verlängerung des Mietvertrags an – er müsste für fünf Jahre unterschreiben. „Das kann ich nicht. Das Risiko ist zu groß.“ Deswegen wird er den Laden, den es seit 25 Jahren gibt, Ende April schließen.
Schoch hat das ganze Brexit-Drama Woche für Woche genau verfolgt, weil er wusste, dass seine Existenz dranhängt. Jetzt will er erst einmal seine Stammkunden verabschieden, zur Hochzeit seiner Tochter gehen und dann überlegen, was er als Nächstes macht. „Das Königreich wird bröckeln“, sagt er. „Viele Firmen werden das Land verlassen. Aber der wahre Gewinner des Brexit heißt Irland.“ Das Land ist weiterhin EU-Mitglied. „Vielleicht mach’ ich danach irgendwas Irisches in München.“
Er hat früher bei Guinness, der berühmten Bierfirma aus Dublin, gearbeitet. „Ein Guinness-Pub und ein irischer Shop, das wäre es doch“, sagt Schoch. Er lacht, noch ist es eine Schnapsidee. Aber wer weiß. Den Brexit hielten viele Menschen vor vier Jahren auch für eine. STEFAN SESSLER