Sprengt der Brexit das Königreich?

von Redaktion

München – Ein Nigel Farage verabschiedet sich nicht ohne Provokation. Am Ende seiner letzten Straßburger Rede zieht der Brexit-Hardliner ein britisches Fähnchen unter dem Tisch hervor und schwenkt es genüsslich herum, gerade weil das im EU-Parlament verboten ist. Es ist ein bisschen peinlich – und aufschlussreich. Das Plenum kann noch mal bestaunen, auf welch geistigem Boden der Brexit gewachsen ist.

Der könnte dem Vereinigten Königreich auf die Füße fallen. Denn jene Landesteile, die 2016 klar gegen den Brexit gestimmt haben und gern in der EU bleiben würden, rufen immer lauter nach Abspaltung von London. Am Tag von Farages Rede spricht sich das schottische Parlament für ein Unabhängigkeitsreferendum aus. Kurz darauf fordert die nordirische Europa-Abgeordnete Martina Anderson ebenfalls ein Referendum – über die Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik im Süden. Das müsse schnell gehen, sagt sie, am besten noch dieses Jahr – spätestens vor der Europawahl 2024.

Sprengt der Brexit das Königreich? Die Anzeichen mehren sich, dabei sind beide Fälle unterschiedlich gelagert. Zwar zeigen Umfragen in Schottland eine Mehrheit für die Neuauflage des Referendums von 2014. Um es aber durchzuführen, muss London zustimmen; Premier Boris Johnson denkt nicht daran. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon baut auf den Druck der Straße. Die Trauer über den Brexit sei „mit Wut gefärbt“, sagt sie am Freitag. Ihre Partei wolle die Unabhängigkeitskampagne verstärken.

Auf der irischen Insel sind die Hürden niedriger. Im Karfreitagsabkommen, das den Nordirland-Konflikt beendete, ist das Recht auf ein Referendum festgeschrieben, sobald sich in der Bevölkerung eine Mehrheit für die Wiedervereinigung abzeichnet. Manche glauben, die gebe es schon. Die Katholiken, die für eine Wiedervereinigung eintreten, werden bald die Bevölkerungsmehrheit stellen – auch manch Brexit-kritischer Protestant ließe mit sich reden, wenn die Bedingungen stimmen. Ein paar kreative Ideen für die Insel kursieren schon, etwa die Schaffung eines föderales Zwei-Staaten-Systems mit gemeinsamem Parlament.

Das Thema wird besonders dann akut, wenn es den Briten und der EU nicht gelingt, bis Ende des Jahres ein Freihandelsabkommen auszuhandeln. Dann droht ein harter Brexit, ein Austritt ohne Abkommen. Die Folge wäre die Rückkehr einer harten Grenze zwischen Nordirland und dem Süden – und damit wohl auch ein Wiederaufflammen der Gewalt.

Die Sorge auf der Insel ist groß – zumal Boris Johnson im Ruf steht, sich nicht sehr für Nordirland zu interessieren. Das könnte sich ändern. Er wird nicht als der Premier in die Geschichte eingehen wollen, der das Ende des Königreichs zu verantworten hat. MARCUS MÄCKLER

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