„Jetzt wird zementiert, was sich nicht bewährt hat“

von Redaktion

Peter Kreilkamp aus Seefeld wartet seit elf Jahren auf eine Niere und ist von der Entscheidung in Berlin tief enttäuscht

Rund 9400 Menschen warten hierzulande auf ein Spenderorgan. Peter Kreilkamp, 61, aus Seefeld (Landkreis Starnberg) ist einer von ihnen. Bei ihm wurde mit 18 eine „Glomerulonephritis“ festgestellt: Die Filterkörperchen beider Nieren stellten langsam ihren Dienst ein. Es folgte die Dialyse – und ein halbes Leben auf der Warteliste.

Wann mussten Sie zum ersten Mal zur Dialyse?

Mit 35. Danach konnte ich dank Dialyse weiterleben. Erst nach achteinhalb Jahren Warten kam der Anruf vom Klinikum rechts der Isar: eine Spenderniere sei da. Sie wurde am 14. Juni 2003 transplantiert.

Die gespendete Niere hat nicht lang gehalten?

Nein. Als Betroffener hofft man das natürlich. Aber in der Medizin gibt es keine Garantien. Bei mir hat die Niere nur sechs Jahre gehalten – das waren jedoch sechs gute Jahre: ohne Dialyse. Seit 2009 und damit im elften Jahr überlebe ich wieder mit Dialyse. Für Nierenpatienten ist das auf diese Weise möglich, während es für Herz-, Lungen- oder Leberpatienten letztlich nur mit einem Spenderorgan zu schaffen ist.

Wie sehr schränkt die Therapie Ihren Alltag ein?

Die meisten der mehr als 80 000 Dialyse-Patienten machen eine Hämodialyse. Dabei wird das Blut außerhalb des Körpers maschinell gereinigt, meist in Dialysezentren, drei Mal pro Woche für vier bis fünf Stunden. Eine Hämodialyse lässt sich auch daheim durchführen – so wie in meinem Fall: Jede zweite Nacht, jeweils acht Stunden sind zwar aufwendig, machen aber flexibler, ohne Verlust an Tageszeit. So kann ich auch berufstätig sein.

Schaffen das viele?

Leider nein. Die meisten Dialysepatienten sind nicht mehr berufstätig oder älter als 65. Ich arbeite im Büro, mit wenig körperlicher Aktivität. Ich bin damit aber eher die Ausnahme – dank glücklicher Umstände und eben der Heimdialyse. Aber auch ich muss auf meine Ressourcen achten. Ich vergleiche das gern mit einem Mittelklassewagen, der äußerlich noch manierlich aussieht, aber nur noch auf zwei Zylindern läuft. Ich achte auf genug Schlaf und halte mich mit Sport fit. Alles andere liegt in Gottes Hand – und in der meines Nephrologen.

Die Dialyse geht also an die Substanz?

Ja, die meisten brauchen danach eine Regenerationszeit. Die Dialyse schlaucht – schon aufgrund der vielen Jahre. Viele Patienten entwickeln Sekundärerkrankungen und können irgendwann nicht mehr transplantiert werden. Je kürzer die Wartezeit, desto größer die Erfolgsaussichten einer Transplantation.

Und Organe sind knapp …

Genau, in Deutschland ganz besonders. Daher starten wir im Sommer – ich engagiere mich im Verein „TransDia Sport Deutschland“ – wieder die „Radtour-pro-Organspende“. Von Bad Heilbrunn aus radeln Betroffene dann über München nach Heilbronn und besuchen viele auf dem Weg liegende Kliniken; um symbolisch Danke zu sagen und das Thema in den Kliniken auf die Tagesordnung zu bringen. Schließlich beginnt dort jede Organspende. Allerdings erhalten die dort Beschäftigten kaum mal eine positive Rückmeldung auf ihr Leben rettendes Engagement. Dabei liegt der Schlüssel zu mehr Spenderorganen sicherlich in diesen Kliniken: Dort haben viele das Thema aufgrund von Zeit- und Personalmangel sowie Finanzproblemen nicht auf der Agenda. So wird längst nicht jeder potenzielle Organspender als solcher identifiziert.

Gestern wurde die Widerspruchslösung im Bundestag abgelehnt. Wie hätten Sie entschieden?

Die Widerspruchslösung wäre meiner Meinung nach nur allzu logisch gewesen. Wir alle können in zwei Situationen geraten: entweder sterben wir und werden dabei zum potenziellen Organspender. Oder aber der Kardiologe sagt zum Beispiel: Sie haben sich eine Herzmuskelentzündung zugezogen, wir können sie noch ein halbes Jahr am Leben erhalten. Sind Sie einverstanden, dass wir Sie auf die Warteliste setzen? Da sagen die meisten natürlich ja. Wenn man aber in dieser Situation ja sagt, muss man es auch in der anderen – das ist eine Frage der Solidarität und des Prinzips von Geben und Nehmen.

Was missfällt Ihnen am Gegenvorschlag?

Der Baerbock-Vorschlag zementiert nur das, was sich nicht bewährt hat: Das Thema ist zu komplex, um es in fünf Minuten zu erklären und zu entscheiden. Die Vorstellung, das könne man mal eben bei der Ausweisverlängerung oder beim Hausarzt klären, ist praxisfern. Und: Wenn man Befragungen glauben darf, dass mehr als 80 Prozent einer Organspende positiv gegenüberstehen, darf man auch davon ausgehen, dass sie einer Organspende zustimmen würden. Die Widerspruchsregelung wäre einfacher zu handhaben gewesen, ohne Persönlichkeitsrechte einzuschränken – jeder, der das nicht möchte, hätte dies ja kundtun können.

Interview: Andrea Eppner

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