Mission Kanzler-Comeback

von Redaktion

Nach dem Ibiza-Skandal wird in Österreich am 29. September neu gewählt. Es gilt als nahezu sicher, dass die ÖVP von Ex-Kanzler Sebastian Kurz wieder deutlich vorne liegt. Die große Frage ist, mit wem der 33-Jährige danach regieren kann. Ein Kurz-Besuch im Wahlkampf.

VON SEBASTIAN HORSCH

München/Bregenz – Es regnet wie aus Kübeln, als Sebastian Kurz einen Schwank aus seiner Jugend auspackt. „Ich hab’ a mal an Zwergziegenbock g’habt“, erzählt der 33-Jährige, der bis Ende Mai Österreichs Bundeskanzler war und es auch bald wieder sein will. Als Kind in Niederösterreich, da habe er sich das damals unbedingt eingebildet, und den Ziegenbock im Garten halten dürfen. „Nur, das Problem war, der war so anhänglich“, erzählt Kurz. Er habe den Bock einfach nicht alleine lassen können, weil der sonst „nur g’schrien“ habe. Ständig habe er sich mit dem Tier beschäftigen müssen. Bis die Eltern von Sebastian Kurz irgendwann gesagt hätten, „das geht nicht mehr“. Der Ziegenbock musste weg.

Während er das erzählt, steht Sebastian Kurz in einem Stall in Vorarlberg. Es ist Ende August, und der Auftakt zu seiner Wahlkampftour. Unter dem Motto „Kurz im Gespräch“ ist der Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) gerade zu Besuch auf dem „Sunnahof“ der Lebenshilfe in Göfis, nur ein paar Kilometer von Bregenz entfernt. Ihm gegenüber kaut eine verächtlich dreinblickende Ziege stoisch vor sich hin. Es ist offensichtlich, dass es dieses Tier war, das Kurz die Geschichte ins Gedächtnis gerufen hat. Doch vielleicht hat er auch ein kleines bisschen an seine ehemaligen Koalitionspartner von der rechten FPÖ denken müssen. Denn die Freiheitlichen suchen gerade fast ebenso hartnäckig Kurz’ Nähe wie einst der Zwergziegenbock.

Rückblick: Mehr als 110 Tage ist es her, dass ein Video die österreichische Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ gesprengt hat. Der „Spiegel“, die „SZ“ und der „Falter“ berichteten im Mai über einen schon im Sommer 2017 aufgenommenen Film. Darin zu sehen ist Heinz-Christian Strache. Der FPÖ-Politiker – damals noch Spitzenkandidat und später Vize-Kanzler – lümmelt auf einer Couch, in dem offensichtlichen Glauben, zu Gast in der Urlaubs-Villa einer russischen Oligarchin auf Ibiza zu sein. Das alleine wäre noch kein Skandal, würde diese vermeintliche Oligarchin in dem Video nicht vorgeben, für viele Millionen Euro die einflussreiche „Krone“-Zeitung übernehmen zu wollen. Und würde Strache ihr nicht lukrative staatliche Aufträge in Aussicht stellen, falls sie mit ihrer dann gewonnenen Medienmacht die FPÖ unterstützt.

Was folgte, war ein politisches Beben. Schon kurz nach der Veröffentlichung trat Strache als Vizekanzler zurück. Bald darauf verkündete Kanzler Kurz das Ende der Koalition mit den Freiheitlichen und rief Neuwahlen im September aus. Es folgte eine mediale Schlammschlacht zwischen den Koalitionären. Am Ende entließ Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Vorschlag des Kanzlers den FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, woraufhin auch alle anderen FPÖ-Minister ihre Ämter niederlegten. Mit einem gemeinsamen Misstrauensvotum brachten SPÖ und FPÖ dann auch noch den Kanzler zu Fall. Van der Bellen berief eine Übergangsregierung aus Experten ein. Neu gewählt wird am 29. September.

Nun könnte man meinen, das Tischtuch sei zerschnitten. Doch geht es nach der FPÖ, würde man das schwarz-blaue Bündnis äußerst gerne wieder aufleben lassen. Die Freiheitlichen wollen es am liebsten noch einmal probieren mit Kurz – und zwar nur mit ihm. In einem humorig gemeinten FPÖ-Wahlkampfvideo sitzt der designierte Parteichef Norbert Hofer mit einem Kurz-Double, das man nur von hinten sieht, bei einer Paartherapeutin. Deren Diagnose: „Sie beide haben eine großartige Beziehung. (…) Wollen Sie das wirklich riskieren, nur wegen Ibiza?“ Hofer sagt: „Nein, das ist nicht was ich will, aber…“ – hoffnungsvoll blickt er zum Kurz-Double rüber. Schnitt.

Reichen würde es wohl locker. In den jüngsten Umfragen kommt die ÖVP auf 36 Prozent, FPÖ und SPÖ liegen dahinter gleichauf bei 20 Prozent. Dann folgen Grüne (12 Prozent) und Neos (9 Prozent). Kurz und Hofer hätten also gemeinsam eine komfortable Mehrheit. Nur bezweifeln immer mehr Kenner des politischen Wiens, dass Kurz sich noch einmal auf die FPÖ einlassen will. Es heißt, er habe vor allem aus den eigenen Reihen die Rückmeldung bekommen, dass eine erneute Zusammenarbeit mit den Rechten bei vielen in der Partei nicht gut ankäme. Und auch 60 Prozent der ÖVP-Wähler lehnen dieses Bündnis laut einer Umfrage mittlerweile ab. Kurz tendiere deshalb zunehmend zu einer Koalition mit einer möglichst schwachen SPÖ, schreibt die Zeitung „Der Standard“. Der ÖVP-Chef selbst sagt zu all dem nichts.

Zurück im Sommer-Wahlkampf: Es ist später Nachmittag und es regnet weiter in Strömen. Kurz war trotzdem beim Wandern mit Senioren, am Abend steht noch ein Treffen mit Unternehmern an. Jetzt ist er gerade auf dem Hof seines Parteifreunds Norbert Sieber angekommen. Der Landwirt ist selbst langjähriger ÖVP-Abgeordneter im Nationalrat und gibt nun für Kurz den Einheizer. In einem Nebenraum seines Kuhstalls haben sich weit mehr als hundert Menschen versammelt. Die Luft ist stickig, ein paar Kinder quäken und das Bier schwappt aus Gläsern, als der Ex-Kanzler sich seinen Weg ans Mikrofon bahnt.

Kurz erzählt von den Tagen, an denen die Regierung auseinanderbrach. „Eine extreme Achterbahnfahrt“, sei das damals gewesen. Die Regierung mit der FPÖ habe sich vor dem Skandal gerade auf einem guten Kurs befunden. „Keine neuen Schulden, Steuerentlastungen auf den Weg gebracht.“ Auf einmal tauchte das Ibiza-Video auf. „Und die Regierung war de facto innerhalb von wenigen Tagen am Ende.“ Dann, bei der Europawahl, habe die ÖVP plötzlich wieder das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Und trotzdem wurde Kurz’ verbliebene Bundesregierung kurz darauf im Parlament gestürzt. „Was wir da gelernt haben“, sagt Kurz im Kuhstall, das sei: „Wenn es eine Möglichkeit zur Zusammenarbeit gegen uns gibt, dann nutzen das die anderen Parteien.“ Deshalb seien die derzeit guten Umfragewerte nicht etwa ein Luxus. „Wir werden diesen Vorsprung auch brauchen“, ruft er seinen Unterstützern zu. „Es bringt nix, wenn wir Erster werden, aber es geht sich eine Koalition gegen uns aus.“ Es wird applaudiert und genickt.

Tatsächlich kann noch was passieren. Das gilt schon deshalb, weil Wahlkämpfe in Österreich besonders sind. Das liegt zum einen an der intimen Wiener Politik- und Medien-Landschaft, in der wahre und unwahre Gerüchte schnell die Runde machen. Gleichzeitig sind alle Kandidaten regelrecht zum medialen Nahkampf gezwungen – in Österreich noch stärker als in Deutschland. Allein im ORF finden 15 TV-Duelle nach dem Prinzip Jeder-gegen-Jeden statt. Im direkten Duell oder zu dritt werden die Kandidaten verbal aufeinander losgelassen. Dazu kommen ähnliche Formate in Privatsendern. Sich zurücklehnen und den Vorsprung einfach verwalten – das geht nicht.

Der Umgang ist rau. Vor Gericht setzte die SPÖ durch, dass Kurz sie nicht mehr öffentlich verdächtigen darf, an der Entstehung oder Veröffentlichung des Ibiza-Videos beteiligt zu sein. Mehrfach hatte der Kanzler den Sozialdemokraten schmutzige Machenschaften vorgeworfen. Kurz wiederum muss sich von seinen Gegnern als gekaufter Kanzler betiteln lassen, weil rauskam, wie viele Spenden seine Partei von Schwer-Reichen und Industriellen erhalten hat. Jüngst beklagte die ÖVP zudem, sie sei Opfer eines großen Hacker-Angriffs geworden, nachdem das Magazin „Falter“ mit internen ÖVP-Daten über mögliche Unregelmäßigkeiten bei den Wahlkampfkosten der Partei berichtet hat.

Bevor es vom Sieber-Hof weiter zu den Unternehmern geht, ist noch Zeit für ein schnelles Gespräch. „Es stimmt, dass hier im Wahlkampf mit sehr schmutzigen Methoden gearbeitet wird“, sagt Kurz unserer Zeitung – und meint damit natürlich nur die anderen. Die ÖVP werde sich jedenfalls nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Ich glaube, dass es sehr viele Menschen gibt, die wollen, dass wir unseren Reformkurs fortsetzen“. Also vielleicht doch wieder mit der FPÖ? Kurz sagt nicht nein, er sagt: „Unser Ziel ist es, diesmal mehrere Optionen zu haben und gleichzeitig eine Allianz gegen uns zu verhindern.“ Dann muss er auch dringend weiter. Er ist schließlich im Wahlkampf.

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