Der haarigste Wettkampf im Werdenfels

von Redaktion

Er kann chinesisch, kaiserlich oder der eines Musketiers sein – Bärte sind so vielfältig, dass es bei internationalen Wettkämpfen bereits 19 Klassen gibt. In Garmisch-Partenkirchen findet am heutigen Samstag die größte Bart-Prämierung in Oberbayern statt.

VON JOSEF HORNSTEINER

Garmisch-Partenkirchen – Wenn Hans Hübler, 68, in einem Restaurant sitzt, analysiert er zuerst die Speisenkarte. Manche Gerichte kommen für ihn infrage, manche nicht. Hübler hat keine Allergie oder lebt vegan. Aber er hat einen schwarzen, gezwirbelten Schnauzbart. Und den darf er nicht mit Soßen, Suppen oder Säften in Gefahr bringen – zumindest in der Öffentlichkeit. Als Vorsitzender des Bartvereins Garmisch-Partenkirchen hat er eine Vorbildfunktion. „Essensreste im Bart stören außerdem beim Schmusen“, sagt Hübler und lacht dabei. Ein Gulasch ist gefährlich. Ein Schnitzel hingegen ein Leichtes. „Da spielt auch Erfahrung eine große Rolle“, sagt der Schnauzbärtige.

Sein Lieblingsplatz sei deshalb „beim Jan“, sagt Hübler. Dort sitzt er gerade. Es ist sein Stammlokal in Garmisch-Partenkirchen. Dort gibt es Weißbier und selbst gemachte Pizzas. Wirt Jan Bischof-von der Höh, 51, sitzt mit am Tisch. Er weiß, was Bartträger wollen. Schließlich trägt auch er einen Schnauzbart. Einen besonders filigranen. Wie zwei Drähte stehen die Enden nach außen weg, weit übers Gesicht hinaus. Wenn er hinter dem Herd steht, stört ihn der gezwirbelte Oberlippenwuchs nicht. Nur wenn Bischof Auto fährt und sein spitziger Bart beim Schulterblick am Fenster anstößt und ihn dann ins Auge sticht, weiß er, dass es „wieder Zeit für die Schere ist“.

Heute planen Hübler und seine Vereinsmitglieder am Stammtisch die letzten Vorbereitungen zur Bartprämierung in Garmisch-Partenkirchen. Der Wuchs stimmt, sie sind startklar für das haarige Schaulaufen an diesem Samstag im Werdenfelser Hof. Mit 40 bis 50 Mannsbildern aus ganz Europa rechnen sie. Sie stehen dann im Rampenlicht vor einer Fachjury aus Friseurmeistern und Kosmetikerinnen. Es ist die größte jährliche Veranstaltung für den Verein.

Mit am Tisch sitzt Daniel Neuner – ebenfalls Bartträger sowie Vereinsmitglied – und lacht amüsiert. „Der schaut ja aus wia a Tintenfisch“, kreischt der 46-Jährige, als Hübler ihm ein Foto von einem der vergangenen Wettkämpfe zeigt. Der Mann auf dem Bild ähnelt mit seinen sechs toupierten Tentakeln mehr einem Oktopus als einem Menschen. „Wer is des?“, fragt er seinen Vorsitzenden. „Das ist Armin Bielefeldt, ein Ami“, sagt Hübler stolz. Er hat den Bartkünstler bei einer Weltmeisterschaft in Österreich getroffen und vor die Linse bekommen.

Nicht jeder Werdenfelser nimmt Bielefeldt als Vorbild. Bartwichse, Gel oder Haarspray wie bei dem US-Amerikaner kommen Daniel Neuner nicht ins Gesicht. Der Musikant aus Garmisch-Partenkirchen, der vielen aus der BR-Sendung „Mannsbild und Pfundskerl“ bekannt sein dürfte, dem bayerischen Pendant zu Joko und Klaas auf ProSieben, greift sich in den weiß melierten Bart. „Ich lass ihn seit eineinhalb Jahren so wachsen“, sagt er. Er hofft, durch seine Natürlichkeit die Fach-Jury am Samstag in der Kategorie Vollbart zu überzeugen. Sein Wuchs bilde „eine prächtige Wolke“, sagt Hans Hübler lobend. Der Chef selbst trägt seit 35 Jahren Schnauzer aus Überzeugung. „Es ist ein Kaiserlicher“, sagt er. Also an den Spitzen kreisrund gezwirbelt. Das ist eine von insgesamt 19 Kategorien, in denen sich Bartträger heutzutage messen. Daneben gibt es zum Beispiel Vollbart Garibaldi, Trendbart oder die Königsdisziplin Freistil.

Jeden Tag steht Hübler 20 Minuten für sein Meisterstück im Bad. Nebenberuflich fährt der Pensionist Kinder für das Bayerische Rote Kreuz in die Schule. Da macht sein Schnauzer mächtig Eindruck bei den Kleinen: „Sie nennen mich nur Schnauzer-Hanse.“

Auf die Prämierung bereitet er sich wie ein Fußballer im Trainingslager vor. Täglich wird der Bart „eingespielt“, also gewaschen und mit Haarspray fixiert. Welches Wundermittel benutzt wird, verraten sich die Konkurrenten untereinander nur selten. „Ich habe mal Horst Lichter, den TV-Star mit dem top frisierten Schnauzbart, nach seinem Haarspray gefragt“, erzählt Wirt Jan Bischof-von der Höh. Lichter habe es ihm nicht verraten. „Daraufhin hab ich 50 verschiedene Dosen Sprays zu Hause gehabt und alle durchprobiert.“ Irgendwann kam er drauf, dass es nicht um die Marke, sondern um die Technik geht. Die verrät er allerdings auch nicht.

Hinter den haarigen Kunstwerken steckt viel mehr als bloßes Wachsenlassen. Kein Wunder, dass sich das Züchten des Wuchses zu einer Leistungssportart entwickelt hat. Wettkämpfe gibt es weltweit. Sogar Olympiaden. Im vergangenen Jahr richtete der Ostbayerische Bart- und Schnauzerclub eine Weltmeisterschaft in Israel zum 70-jährigen Bestehen des Landes aus. Heuer geht es ins belgische Antwerpen zur WM. Doch zuerst steht die Prämierung in Garmisch-Partenkirchen auf dem Programm. Dort werden mindestens zwölf Mitglieder antreten.

„Die Bart-Vorbereitung ist bei den Profis enorm“, sagt Hübler. Da stehen Teilnehmer schon mal bis zu sechs Stunden vor dem Spiegel, föhnen, kämmen, sprayen und gelen. „Manche haben ganze Koffer dabei mit zwölf verschiedenen Bürsten, Lockenwicklern und dosenweise Haarspray.“

Geheime Tricks und Kniffe haben alle Wettkämpfer. Auch Christian Feicht. Der Mann aus Grafing im Kreis Ebersberg wird am Samstag wieder als Favorit in der Kategorie Vollbart-Freistil antreten. Um sein geschnörkeltes Wunderwerk im Vorfeld der Meisterschaft zu schützen, trinkt er sein Weißbier nur mehr mit Strohhalm. Zu groß wäre die Gefahr, es zu zerstören. Beruflich ist ihm sein Haarwuchs nicht im Weg. Als Erzieher bringt er sogar Vorteile. „Während meine Kollegen mit den Kindern malen, probieren meine, wie viele Stifte wohl in den Bart passen“, erzählte er bei der letztjährigen Prämierung in Garmisch-Partenkirchen.

Bei Wettkämpfen geht es bei allem Spaß sehr ernst zu. Da packt viele Teilnehmer der Ehrgeiz. Nicht nur die Männer leiden, wenn sie die Spitze ihrer Klasse verpassen. „Da weinen auch mal die Ehefrauen, wenn ihre Gatten auf der Bühne nicht den ersten Platz schaffen“, erinnert sich Hübler an die Bart-Weltmeisterschaft im österreichischen Leongang im Pinzgau vor wenigen Jahren.

Im Werdenfelser Land ist man weniger nah am Wasser gebaut. Tränen fließen bei der Prämierung in Garmisch-Partenkirchen höchstens vor Freude. Im nächsten Jahr steht dort für Hüblers Verein das 30-jährige Bestehen an. Über die Idee, alle Mitglieder pünktlich zum Jubiläum zu rasieren, kann er nur lachen. „Dann würden wahrscheinlich auch wir und unsere Frauen weinen.“

Artikel 2 von 3