„Es gibt viele offene Fragen“

von Redaktion

Ansgar Ohly, Professor für Recht des geistigen Eigentums an der LMU München, findet die Reform eher enttäuschend

Herr Professor: Ihr Urteil zur Reform des Urheberrechts durch die EU?

Die Reform ist ein Paket aus ungefähr 20 Regelungen, von denen einige sinnvoll sind, andere problematisch. Vernünftig ist zum Beispiel die stärkere Beteiligung des Urhebers in Verträgen mit Verlagen oder anderen Verwertern. Problematisch sind die Artikel 11 und 13, um die vor allem gestritten wurde.

Die Internetgemeinde hat sich vor allem auf die neuen Pflichten von Plattformen wie YouTube eingeschossen. Urheberrechtsschutz sei ohne Upload-Filter nicht möglich.

Die Regelung funktioniert in drei Stufen: Große Plattformen wie YouTube brauchen künftig eine Lizenz von den Rechteinhabern. Wird diese nicht erteilt, müssen sie filtern. Drittens muss YouTube Inhalte entfernen, wird auf eine Urheberrechtsverletzung hingewiesen. Schon bisher muss YouTube dafür sorgen, dass keine rechtswidrigen Inhalte erscheinen, schon jetzt hat Youtube eine Lizenzvereinbarung mit der GEMA. Umgekehrt ist der Vorwurf der Zensur weit überzogen, weil YouTube nicht alles filtern, sondern nur die Dateien auf der Plattform mit Referenzdateien vergleichen muss, die Rechteinhaber hinterlegt haben. Das ist eine begrenzte Kontrolle. Schon bisher hat YouTube Filter eingesetzt: im Rahmen seines Content-ID-Verfahrens und dann, wenn es auf eine Rechtsverletzung hingewiesen wurde. Deshalb ändert die Reform nicht so viel, wie beide Seiten glauben.

Die CDU will die Reform in Deutschland ohne Upload-Filter umsetzen.

Die Vorschläge der CDU kommen zu spät, man hätte sie im europäischen Gesetzgebungsverfahren einbringen müssen. Die CDU überschätzt wohl etwas den Spielraum, den Deutschland bei der Umsetzung in nationales Recht hat.

Den großen Plattformen wird vorgeworfen, sie verdienen mit fremdem geistigen Eigentum viel Geld.

Wie viel Geld Plattformen mit fremdem geistigen Eigentum verdienen, ist schwer zu sagen, weil viele unterschiedliche Inhalte auftauchen. Illegale Inhalte, aber auch solche, die keine Rechte verletzen – zum Beispiel selbst produzierte Videos. Aber es ist durchaus so, dass YouTube Werbeeinnahmen erzielt, weil man sich dort viele urheberrechtlich geschützte Musikvideos ansehen kann. YouTube hat ein ähnliches Angebot wie Spotify, für das man bezahlen muss. Insofern ist an dem Vorwurf etwas dran.

Mit der Reform haftet nun der Plattformbetreiber, nicht mehr der User, der etwas hochlädt.

Der User ist nur dann sicher, wenn der Plattformbetreiber eine Lizenzvereinbarung abgeschlossen hat. Wenn nicht, dann stellt die Richtlinie nur klar, dass auch der Plattformbetreiber haftet. Aber für die Rechteinhaber ist es jetzt sicher attraktiver geworden, direkt gegen die Plattform vorzugehen.

Ist die Reform letztlich ein Sturm im Wasserglas?

Artikel 13 ist voller ungenauen Begriffe. Die Rede ist von Plattformen, die geschütztes Material „in großen Mengen“ bereithalten, von „größtmöglichen Bemühungen“, die Plattformen unternehmen müssen, um bestimmte Inhalte zu vermeiden, von Maßnahmen, die einem „hohen Industriestandard“ entsprechen. Das sind unpräzise Gummi-Bestimmungen. Es ist schwer zu sagen, wie viel sich in der Praxis wirklich ändert.

Können Kreative künftig auf mehr Geld hoffen?

Jetzt ist erst einmal die Frage, inwieweit tatsächlich Lizenzvereinbarungen erzielt werden. Dann ist der Rechteinhaber, an den die Plattform zahlt, eine Plattenfirma oder die GEMA. Wie viel davon letztlich bei den Künstlern landet, bleibt abzuwarten. Das ist ja auch bei Spotify das Problem. Viele Künstler beschweren sich, dass sie zu wenig bekommen.

Wie geht es nun weiter?

Die Bundesregierung muss die Richtlinie in deutsches Recht umsetzen und einen Gesetzesentwurf vorlegen. Dabei wird sicherlich darüber gestritten, welche Spielräume die Richtlinie lässt. Dann wird spannend, wie die anderen Länder sie umsetzen – und was die Gerichte daraus machen. Wie gesagt: Es gibt viele offene Fragen.

Zum Beispiel?

Für welche Plattformen soll die Richtlinie gelten? Wie ist es bei Blogs, auf denen ab und zu ein geschützter Inhalt auftaucht? Oder beim Online-Kochbuch, wo ein geschütztes Foto neben dem Rezept steht? Und wie weit geht die Filterpflicht: Muss der Plattformbetreiber bei Musik nur nach vollständigen Kopien suchen oder auch nach kleinen Schnipseln? Wie sehr müssen Plattformen darauf achten, keine legalen Inhalte, etwa Parodien, zu sperren, und wie können sich Nutzer beim Overblocking wehren?

Braucht es bald schon eine Reform der Reform?

Das kann sein. Ich finde die Reform etwas enttäuschend, weil sie an vielen Stellen Kleinigkeiten ändert. Das europäische Urheberrecht ist wie ein Haus, an das ständig angebaut wird. Das macht es immer undurchsichtiger. Meine Hoffnung wäre eine große Reform, in der die vielen kleinen Richtlinien in eine große zusammmengefasst werden. Dazu braucht es aber viel politische Kraft. Ich glaube, mit dieser Reform ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Interview: Wolfgang Hauskrecht

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