Bayerns unterschätzte Verbrecherjäger

von Redaktion

Seit letztem Sommer gibt es in Bayern eine Grenzpolizei. Der Alltag der Schleierfahnder hat sich kaum verändert, seit sie einen neuen Namen haben – ihr Image schon. Sie werden an Aufgriffen illegaler Einreisen gemessen. Dabei liegt ihr Schwerpunkt ganz woanders. Ein Vormittag auf Streife.

VON KATRIN WOITSCH (TEXT) UND MARCUS SCHLAF (FOTOS)

Raubling – Die Verbrecherjagd beginnt mit absoluter Konzentration. Kristian Feeder und Jan Angerer sitzen in einem silberfarbenen BMW in einer kleinen Bucht direkt neben der Autobahnauffahrt an der Raststätte Irschenberg. Im Sekundentakt donnern Autos, Lastwagen und Sprinter vor ihren Augen über die A 8. Sie haben gerade mal eine Sekunde pro Fahrzeug. Aber sie haben viele Jahre Erfahrung – ihnen reicht diese Sekunde meist, um zu erkennen, wenn etwas nicht zusammenpasst. Fahrer und Fahrzeug, Fahrzeug und Kennzeichen, auffällig verdunkelte Scheiben.

Feeder und Angerer sind seit 15 Jahren Schleierfahnder. Seit letztem Sommer sind sie offiziell Beamte der bayerischen Grenzpolizei. Ihr Alltag hat sich dadurch nicht wesentlich verändert. „Der Grenzschutz macht nur einen kleinen Teil unserer Arbeit aus“, sagt Herbert Baumann, der Leiter der Grenzpolizeiinspektion Raubling im Kreis Rosenheim. Denn für die Grenzkontrollen an den Autobahnen ist nach wie vor die Bundespolizei zuständig, die Landespolizei verstärkt sie auf Nebenstraßen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat schon einige positive Bilanzen zur neu geschaffenen Grenzpolizei gezogen. Doch es gibt auch viel Kritik. Zum Beispiel, als letztes Jahr bekannt wurde, dass die Grenzpolizei in fünf Monaten nur neun Migranten an die Bundespolizei übergeben hatte. Immer wieder fällt der Begriff „Etikettenschwindel“.

Herbert Baumann ärgert sich darüber. Die Grenzpolizei sei aus der Schleierfahndung erwachsen, betont er. „Früher galten die Polizisten als äußerst erfolgreiche Fahnder. Innerhalb eines Tages waren sie dann in der öffentlichen Wahrnehmung die Helfer der Bundespolizei an der Grenze. Das schmerzt.“ Denn seit der Fokus so sehr auf dem Wort „Grenze“ liege, gehen die Ermittlungserfolge im Bereich des Drogenschmuggels, der Fahrzeugdiebstähle oder der Urkundenfälschungen etwas unter. Und die machen nach wie vor den Hauptteil der Arbeit von Kristian Feeder, Jan Angerer und ihren Kollegen aus.

Stichprobenartig tippt Angerer Kennzeichen in den Laptop auf seinem Schoß. Wenn nach einem der Fahrzeuge gefahndet wird oder es als gestohlen gemeldet ist, bekommt er sofort einen Hinweis. Technisch habe sich einiges verbessert, seit die Schleierfahnder zur Grenzpolizei wurden, sagt Kristian Feeder. Der Freistaat hat 14 Millionen Euro investiert – in PS-starke Fahrzeuge mit hochwertiger Technik. Jeder Wagen ist ausgestattet mit Fingerabdruck-Scanner, digitalen Lupen oder Video-Endoskopen, mit denen kaum einsehbare Verstecke in Fahrzeugen untersucht werden können. Auch die Zahl der Drohnen soll aufgestockt werden. Doch bei der Schleierfahndung sind die wichtigsten Hilfsmittel zunächst Spezialwissen, analytisches Denken und Erfahrung.

Damit arbeiten Feeder und Angerer gerade, während sie die Autos beobachten. Ein weißer Porsche mit italienischem Ausfuhr-Kennzeichen fährt an ihnen vorbei. Als gestohlen gemeldet ist der Wagen nicht, trotzdem fahren die beiden Zivil-Fahnder hinterher und geben dem Fahrer das Signal, auf dem nächsten Parkplatz rauszufahren.

Während Kristian Feeder den Italiener um die Papiere bittet und fragt, wo er herkommt, wo er hin will, geht Jan Angerer ums Auto, schaut durch das Beifahrerfenster und beobachtet genau, wie der Mann reagiert. Er wirkt nicht nervös. Er trägt Jeans, Turnschuhe und Sonnenbrille. Die Papiere hat er in einer schwarzen Sporttasche im Kofferraum. Auch die Kaufurkunde für den 92 000 Euro teuren Wagen kann er vorlegen. Er habe das Auto gerade in Hamburg abgeholt, sagt er.

Angerer überprüft im Polizeiauto die Dokumente, Kristian Feeder stellt noch einige Fragen. Das kann er in den meisten europäischen Sprachen. „Der Rest geht mit Händen und Füßen“, sagt er. Kurze Zeit später darf der Italiener weiterfahren. Der Porsche ist in Hamburg ordnungsgemäß abgemeldet, die Dokumente sind echt. „Grazie“, sagt er und nickt den Polizisten zu, bevor er wieder ins Auto steigt.

Der Porsche war nicht geklaut – doch hunderte andere gestohlene Fahrzeuge haben die bayerischen Schleierfahnder im vergangenen Jahr bei Kontrollen wie diesen aufgehalten. Dazu kamen etliche Kilo versteckter Drogen (einmal waren es sogar 73 Kilo Kokain in einem Auto), verbotene Waffen, Sprengstoff, gefälschte Ausweise und natürlich auch Fälle unerlaubter Einreisen und Schleusungen.

Einmal haben Feeder und Angerer sogar eine Leiche in einem Wagen entdeckt. „Die Familie wollte sich die Kosten für die Überführung sparen“, erzählt Feeder. Also saß der tote Opa auf der Rückbank – mit einer Kerze auf dem Schoß. Die Schleierfahnder wissen nie, was sie erwartet. Mal dauert eine Kontrolle ein paar Minuten, wie im Fall des Italieners. Manchmal lassen sie einen kompletten Laderaum leer räumen oder schrauben etliche Armaturen im Fahrzeuginneren ab. Und regelmäßig bestätige sich dabei ihr Anfangsverdacht.

Allein die Grenzpolizei Raubling greift pro Jahr im Schnitt 300 Drogenschmuggler auf und stoppt 100 gestohlene Fahrzeuge. Einige davon sogar, bevor ihre Besitzer gemerkt haben, dass das Auto verschwunden ist.

Gerade kontrollieren Feeder und Angerer einen Sprinter mit rumänischem Kennzeichen. Die Art Fahrzeug, bei der man nie wisse, was einen erwartet, wenn man die Tür zum fensterlosen Laderaum öffnet, sagt Feeder. Diesmal stehen sie vor einer großen Ladung Krempel: alte Möbel, ein Bettgerüst, eine Matratze. Der Rumäne ist nervös. Das allein ist aber noch kein Zeichen dafür, dass er etwas zu verbergen hat. „In vielen anderen EU-Ländern gibt es diese Polizeikontrollen nicht“, sagt Feeder. Er leuchtet mit einer Taschenlampe in den hinteren Teil des Wagens, lässt den Mann einige Möbel ausräumen, bis er einen Überblick hat. Seine Papiere sind in Ordnung, auch er darf nach einer Viertelstunde weiterfahren.

Feeder und Angerer fahren zurück auf die Autobahn. Mit ziemlicher Sicherheit sei hier in der vergangenen Viertelstunde ein Drogenkurier oder ein gestohlenes Auto unterwegs gewesen, sagt Kristian Feeder. Auch das weiß er aus Erfahrung. Sie kriegen nicht alle – und manchmal nur die kleinen Fische. Doch es gibt auch die Schichten, in der sie ein Fahrzeug kontrollieren und dadurch eine ganze Serie von Diebstählen klären oder eine ganze Drogendealer-Bande fassen können. „Solche Aufgriffe sind die größte Motivation für unsere Arbeit“, sagt Feeder.

Das sind die Tage, an denen es ihm und seinen Kollegen völlig egal ist, ob sie als Schleierfahnder bezeichnet werden – oder als Grenzpolizisten.

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