Mobbing – wenn aus Schule Horror wird

von Redaktion

Was sind Anzeichen? Was können Eltern tun? Ein Überblick über Strategien gegen Ausgrenzung

München – Der Fall eines Mädchens, das vermutlich wegen Mobbings an seiner Berliner Grundschule Suizid beging, sorgt gerade für große Bestürzung (siehe Randspalte). Das Thema Mobbing ist nicht nur deshalb brandaktuell.

Mobbing hat sich verändert, sagt Doris Graf, Leiterin der Staatlichen Schulberatungsstelle Oberbayern West. Sei Mobbing früher auf die Zeit in der Schule begrenzt gewesen, sind die Opfer heute ständig damit konfrontiert. „Handy, Chatrooms, soziale Medien: Mobbing kann sich in vielen verschiedenen Räumen abspielen“, sagt Graf. Die Anonymität des Internets und die zeitliche Unabhängigkeit. „Man kann sich als Opfer nicht mehr sicher sein, wann die nächste Attacke kommt. Das macht es so fatal“, sagt Graf. „Es lastet permanent Druck auf den Opfern.“

Wie verbreitet ist Mobbing an Schulen?

Dazu gibt es laut Bayerischem Kultusministerium keine verlässlichen empirischen Aussagen. Schätzungsweise 15 Prozent der Schüler an weiterführenden Schulen seien betroffen, schätzt das Ministerium, etwa vier Prozent müssten ein oder mehrmals in der Woche Attacken über sich ergehen lassen. „An den Grundschulen ist es wahrscheinlicher, nicht über sehr lange Zeit Opfer zu bleiben.“ Besonders häufig wird in den 6. und 7. Klassen von Mobbing berichtet.

Wie erkennt man Mobbing bei Kindern?

Das Ministerium listet eine Vielzahl von Hinweisen auf: Das Kind wird gehänselt, beschimpft, eingeschüchtert, bedroht, geschlagen. Typisch ist, wenn es in Streitigkeiten hineingezogen wird, in denen es wehrlos ist. Mobbing ist auch, dem Mitschüler Bücher oder Geld wegzunehmen oder Dinge zu verstecken. Prellungen, Verletzungen, Niedergeschlagenheit und Heulanfälle sind ein Alarmzeichen. Ebenso, wenn ein Kind bei Mannschaftsspielen ständig als letztes ausgewählt werde. Lehrer sollten aufmerken, wenn ein Kind in der Pause regelmäßig seine Nähe suche oder die schulischen Leistungen plötzlich nachlassen.

Welche Rolle kommt einzelnen Schülern zu?

„Meist kommt der Täter aus der eigenen Schule“, sagt Doris Graf. Laut Ministerium ist nicht selten ein Großteil der Klasse beteiligt. Die Haupttäter hätten „Assistenten“ und „Unterstützer“, die zwar von selber nicht aktiv werden, aber mitmachen, wenn der Haupttäter mit Mobbing beginnt. Daneben gebe es Verteidiger des Opfers und Außenstehende, die aber „selbst keine Stellung beziehen und sich heraushalten“. Selbst gute Freunde würden sich im Moment des Mobbings vom Opfer abwenden, aus Angst, selbst Opfer zu werden.

Das typische Opfer

Das typische Opfer gibt es nicht. Empirische Erhebungen haben gezeigt, dass jeder Opfer werden kann. Den Opfern werde stets eine „Abweichung“ vom Normalen angedichtet. Treibende Kraft des Täters sei das Streben nach Dominanz. „Täter sind sich der Schwächen ihrer Opfer bewusst und setzen dieses Wissen strategisch und systematisch ein, um ihren eigenen Status zu halten oder gar zu verbessern.“ Dieses Muster werde beibehalten, solange „die Umgebung die Erfolgserwartung des Täters nicht enttäuscht“.

Wie verläuft Mobbing?

Das Ministerium benennt drei Phasen. Im „Explorationsstadium“ sucht sich der Täter ein Opfer. Im Konsolidierungsstadium“ beginnen die systematischen Attacken. „Wenn der Prozess überhaupt durchbrochen werden soll, muss das in dieser Phase geschehen.“ Nichteingreifen deutet der Täter als Billigung. Im „Manifestationsstadium“ ist er dann am Ziel. Er hat die Klasse überzeugt, dass Attacken gerechtfertigt sind. Die Rolle des Opfers sei „irreversibel festgelegt“.

Warum bleibt Mobbing oft lange unentdeckt?

Ein Grund ist laut Ministerium mangelnde Aufsicht an den Schulen, etwa auf den Pausenhöfen. Zudem vertrauten sich die Opfer oft weder Lehrern noch Eltern an, weil sie kein Vertrauen in deren Hilfe haben und sich mitunter selber schuldig fühlen an der Situation.

Was kann die Schule gegen Mobbing tun?

Doris Graf rät zu einem Bündel von Maßnahmen. Oberstes Ziel müsse die Prävention sein. Es brauche ein offenes Schulklima, damit Schüler auch auf Lehrer zugehen. Hilfreich sei ein klares Regelwerk zum Umgang miteinander. Graf rät Schulen zu Mobbingbeauftragten und einem Meldekasten. „Man kann nicht jeden Mobbingfall verhindern. Aber man muss ihm als Schule gewachsen sein.“ Sei ein Mobbingfall erkannt, gelte es „hinzuschauen und zu handeln“.

Ein Baustein ist laut Graf, eine Schülergruppe zu bilden, die einen Handlungsplan erstellt. Opfer und Täter sollten nicht in der Gruppe sitzen. Ansatz ohne Schuldzuweisung nennt sich das Modell. Es setzt auf die Kompetenz von Schülern, wirksame Lösungen zu finden.

Einen Klassen- oder gar Schulwechsel sieht Graf eher am Ende der Handlungskette. „Das Opfer sollte die Erfahrung machen, dass auch schlimme Konflikte geregelt werden können.“ Das Ministerium pflichtet bei. „Der Täter lernt so, Mobbing zu nutzen, um jemanden loszuwerden. Die Gruppe lernt, Mobbing als Gewaltform letztlich zu akzeptieren.“ Nur in der Hälfte der Fälle habe sich ein Wechsel als geeignete Lösung erwiesen. Die betroffenen Kinder hätten ein hohes Risiko, wieder Opfer zu werden.

Was können Eltern tun?

Graf rät davon ab, Kontakt zum Täter oder dessen Eltern aufzunehmen. „Das kann sogar dazu führen, dass die Situation eskaliert. Für die Lösung des Problems ist es nicht förderlich.“ Eltern sollten Kontakt zur Schule aufnehmen, bei Cyber-Mobbing zum Netzwerkbetreiber, um Einträge löschen zu lassen und zu verhindern. Im Extremfall sei eine Anzeige bei der Polizei ratsam. In jedem Fall sollten Eltern ihrem Kind Rückendeckung geben und mit ihm zusammen Handlungsmuster im Umgang mit dem Täter entwickeln. Keinesfalls, so Graf, sollten Eltern dem Kind eine Mitschuld geben.

WOLFGANG HAUSKRECHT

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