Eingesperrt für ein Leben ohne Sucht

von Redaktion

Seit 20 Jahren werden in der Frauenforensik in Taufkirchen Straftäterinnen mit Suchtproblemen resozialisiert. Michaele Heske muss wegen ihrer Alkoholsucht und wegen Veruntreuung selber gerade eine zweijährige Therapie absolvieren – und schreibt in ihrem Bericht über das Leben im sogenannten Maßregelvollzug.

VON MICHAELE HESKE

Taufkirchen – Es zehrt an den Nerven. Herbert Grönemeyer plärrt aus dem Radio – parallel dazu rappt Bushido. „Mach die Scheiß-Mucke aus, Alder“, schreit eine Frau. Eingemummelt in Schal und Mütze steht sie mit anderen im Hof von Station F1 des Isar-Amper-Klinikums. Das „F“ steht für Forensik. Hier werden im Maßregelvollzug alkohol- und drogenabhängige Frauen therapiert.

Die dicken Mauern, die sie von der Außenwelt trennen, sehen die Straftäterinnen längst nicht mehr, aber sie spüren die Kälte des Gefängnisses, das sie von ihren Familien trennt. „Ich habe meine Kinder seit über drei Jahren nicht mehr gesehen“, erzählt Ellen. Die 27-Jährige hat Crystal Meth von Tschechien nach Bayern geschmuggelt. „Wir hatten so viel Spaß miteinander“, beteuert sie und beginnt zu weinen. Sie sei eine gute Mutter. Ihre Töchter lebten aber schon vor ihrer Inhaftierung in einer Pflegefamilie.

Nicht nur das Heimweh quäle die Frauen, auch das schlechte Gewissen gegenüber ihren Kindern, sagt Pflegerin Ines*: „Wegen ihrer Sucht haben sie ihren Nachwuchs vernachlässigt, das Jugendamt hat ihnen die Kids entzogen.“ Gefühle, die nüchtern schwer zu ertragen sind. Pfleger Christian ergänzt: „Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben ist eine belastende und hochemotionale Aufgabe.“ Christian arbeitet seit 18 Jahren in der Forensik. Die Angst vor der Zukunft und die Verarbeitung der Straftaten liege den Frauen schwer auf der Seele: „Das stresst und bringt in Rage.“

In der Isar-Amper-Klinik sind derzeit rund 100 Straftäterinnen einquartiert, die wegen ihrer Alkohol- oder Drogensucht mit dem Gesetz in Konflikt geraten und zu einer Entziehungstherapie verurteilt wurden. Das erspart ihnen das Gefängnis, aber während der zweijährigen Therapie müssen sie ein straffes Programm durchlaufen. Der Staat lässt sich das Angebot viel kosten: Pro Patientin zahlt er im Schnitt 120 000 Euro – eine vergleichbare Haftzeit kostet 36 000 Euro.

Verena, 39 Jahre alt, saß über ein Jahr in Stadelheim in U-Haft, bevor sie nach Taufkirchen kam. „Die Zeit im Knast war Horror“, sagt die Frau, die im Suff und vollgepumpt mit Koks ihren Ehemann niederstach. „Ich bin dankbar für diesen Neustart – und auch dafür, dass mein Mann und die Kinder nach wie vor zu mir stehen. Für mich ist die Therapie der Ausweg aus meinem verballerten Leben.“ Verena hatte noch Glück: Trotz der Messerattacke wurde sie nur zur Entziehungstherapie verurteilt.

Andere landen in der Psychiatrie. Dann, wenn eine psychische Erkrankung oder eine schwere Depression das Gericht zu dem Schluss kommen lässt, sie seien eine Gefahr für die Allgemeinheit. Im Strafgesetzbuch stehen die Paragrafen direkt hintereinander: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63), Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64). Aber der Unterschied ist gewaltig. Die Psychatrie kennt nämlich kein zeitliches Limit. Im Schnitt dauert die Therapie sieben Jahre. Auch so eine Abteilung gibt es in Taufkirchen, mit derzeit rund 70 Frauen. Michaele Heske und die anderen Frauen auf ihrer Abteilung sind „64er“.

Das Pflegepersonal in der Forensik hat die Schlüsselgewalt. Die Patientinnen stehen rund um die Uhr unter Beobachtung, ihr Verhalten wird dokumentiert und analysiert. Das Reglement ist streng: Verstöße werden sanktioniert. Frauen, die sich der Tagesstruktur nicht unterordnen, werden von der Gruppe isoliert, bekommen Zimmerarrest; bei Gewaltausbrüchen droht die Verlegung in videoüberwachte Isolationszellen – ebenso bei Alkohol- oder Drogenrückfällen. Dann werden Lockerungen, beispielsweise der Stadtausgang mit Pflegern, annulliert.

Der Gruppenzusammenhalt auf der Station ist schwach. Missgunst und Streitereien stehen auf der Tagesordnung, häufig werden Mitpatientinnen bei den Pflegern verpetzt. Die Privatsphäre fehlt, das Personal macht mehrmals nachts Kontrollgänge durch die Doppelzimmer. Aus Station F1 sind derzeit 24 Frauen untergebracht. Alle haben ein Drogen- oder Alkoholproblem. In ihrem Strafregister finden sich keine Gewaltdelikte, denn auf F1 leben auch zwei Kinder unter drei Jahren. Taufkirchen ist deutschlandweit die einzige Einrichtung mit Mutter-Kind-Projekt.

Sandra kann sich ein Leben ohne ihren 18 Monate alten Sohn nicht vorstellen. Auch wenn Julian nun ebenfalls eingesperrt ist, sieht sie die Vorteile: „Ein kleines Kind braucht die Mama. Außerdem habe ich Einfluss auf seine Erziehung.“ Julians Vater lebt bei Kaiserslautern, muss weit fahren, um Frau und Kind zu sehen. „Das reibt meinen Mann total auf“, sagt Sandra. Sie ist hier, weil sie bekifft und ohne Führerschein erwischt wurde.

Drogenabhängige Prostituierte, dealende Chemikerin, koksende Erzieherinnen – Frauen aus allen Schichten und jeden Alters sind in Taufkirchen eingesperrt. Die Vita liest sich oft wie ein Krimi: Elterliche Vernachlässigung, häusliche Gewalt oder seelische Grausamkeit sind die Ursachen für das Abdriften in Sucht, Depression, Psychose oder Persönlichkeitsstörung. „Broken home“ – nennt Pfleger Christian das. Zerbrochene Familie. „Die Patientinnen hatten wenig Halt, dysfunktionale Beziehungen.“

In diesen Sollbruchstellen liegt auch die Chance. Die Therapie soll erlernte Verhaltensmuster unterbrechen, Familiäres aufarbeiten. Dazu gehört eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen. Pfleger Stefan sagt: „Vor jeder psychischen Erkrankung stehen Überforderung und Scheitern.“

Der Maßregelvollzug steht immer wieder in der Kritik (siehe Interview). Von einem rechtsfreien Raum, Willkür und Gewalt berichten Insassen. Pfleger Stefan widerspricht vehement: „Auf den ersten Blick mag es den Patientinnen so vorkommen, als seien sie vom guten Willen der Therapeuten und Pfleger abhängig – hier wird aber nicht willkürlich therapiert. Wir versuchen, gezielt und individuell zu helfen.“ Oft würden Hilfsangebote abgelehnt, es fehle an der Krankheitseinsicht. Pfleger und Therapeuten seien sich ihrer Macht bewusst, sagt Stefan. „Gerade deshalb treiben wir kein Schindluder, hinterfragen alles, setzen uns mit allen Mitteln für die Patientinnen ein.“ Außerdem: „Für jede Zwangsmedikation oder Fixierung braucht es mittlerweile eine richterliche Zustimmung.“

Suchtkranke Patientinnen, die nach §64 hier sind, können die Therapie auf eigenen Wunsch abbrechen. Die sogenannten „Therapieversager“ müssen dann im Gefängnis ihre Strafe absitzen. „Abbrüche kommen vor. Wir finden es schade“, sagt Pflegerin Ute. Nach der Haft drohe wieder die Sucht – und wieder das Gefängnis. Wer die Therapie in Taufkirchen durchzieht, hat gute Chancen auf ein suchtfreies Leben. Die Rückfallquote liegt bei weniger als 17 Prozent. Suchtfreiheit kann aber niemand garantieren. „Da hängt viel von Partnerschaft und sozialer sowie beruflicher Integration ab“, sagt Pflegerin Ute. „Auch das Quäntchen Glück darf nicht fehlen.“

*Namen der Pfleger und der Mutter geändert.

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