Dahoam beim Heimatfilmer

von Redaktion

„Ich hatte wahnsinniges Glück!“ – das ist die Lebensbilanz von Joseph Vilsmaier. Heute feiert der vielfach preisgekrönte Kameramann und Regisseur seinen 80. Geburtstag. Zu seinem Jubiläum haben wir ihn an die Stätten seiner Kindheit in Niederbayern begleitet.

VON ULRIKE SCHMIDT

Hebertsfelden – Es sind 137 Kilometer vom Pullacher Platz in München nach Hebertsfelden im Rottal, eingebettet zwischen Eggenfelden und Pfarrkirchen. Das weiß Joseph Vilsmaier ganz genau. Er kennt jeden Kilometer – wie er ausschaut und wo es tückisch wurde, wenn sein Vater, mit ihm auf dem Lenker sitzend, heimgeradelt ist. Auf den kleinen Hof, wo alle daheim waren: der Urgroßvater, die Oma und der Opa, die Tanten, die Onkel, die ganze Wärme der Großfamilie eben.

Die Tagesreise war gefährlich. Denn wenn bei Neumarkt-Sankt Veit im Zweiten Weltkrieg die schweren Motoren der Tiefflieger herandröhnten, wegen des Bahnhofs, mussten sich der Vater und sein Bub in den nächsten Graben werfen.

Doch das war nicht ganz so fürchterlich wie die Nächte im Luftschutzbunker in München. Wer es nicht rechtzeitig hineinschaffte, verbrannte vor dem Eingang. Getroffen hat es Mütter und Kinder.

Das Bild hat sich im Kopf des kleinen Sepp eingebrannt: die Gerippe der Kinderwagen vor dem Bunker. Dass sich dieser Anblick 47 Jahre später auf einer Kinoleinwand im Film „Rama Dama“ finden würde – mit einem preisgekrönten Sepp Vilsmaier als Regisseur und Kameramann, dafür hätte keine Fantasie gereicht. Und dass er zwei Jahre zuvor die niederbayerische Heimat zum Schauplatz eines Kassenschlagers machen würde – mit „Herbstmilch“ als bestbesuchtem Film des Jahres 1989 mit knapp drei Millionen Zuschauern. Ein undenkbares Märchen.

Heute wird Vilsmaier 80. Er hat noch viele Märchen wahr gemacht in seinem Leben, wenn er so zurückdenkt auf der Fahrt in sein Heimatdorf. Inzwischen in einem ledergepolsterten BMW X 6, in dem ein digitaler Fahrassistent die Strecke visualisiert. Die Tagesreise von damals hat sich auf eine gute Stunde verkürzt. Und der Mingara-Sepperl, wie ihn seine Spezl daheim rufen, ist heute ein Star-Regisseur. „Des interessiert hier koan“, sagt er auf dem Weg in seine Kindheit.

Es freut ihn diebisch, dass er auf dieser Scholle einfach nur der Sepp ist, wo ein roter Teppich höchstens in der Kirche liegt – und Stars Menschen, aber keine Götter sind. „Meine Kindheit hier ist alles, was mich im Leben ausmacht“, sagt Vilsmaier, obwohl er in München schon viel länger lebt als er am Land jemals daheim war. Aber immer noch hat er die Freunde hier, wie die Kinder vom Simmerl-Bauernhof, der auf Sichtweite zum Sacherl der Vilsmaiers liegt. Der Sepp war Einzelkind, am Simmerl-Hof waren’s gleich acht – heute leben nur noch der Günther, 77, und der Otto Eder, 85. Ein Riesen-Hof. Allein zehn schwere Rösser standen im Stall – für die Feld- und Waldarbeit, dazu Ochsen für den Pflug und eine Herd’ Kühe.

Die Vilsmaiers weiter unten am Ponhardsberg hatten ein bescheideneres Auskommen. Der Großvater war Oakarrer, Eierhändler, und zum Dreschen mussten sie auf den Simmerl-Hof. Aber es hat an nichts gefehlt. Der schwere Ochs vorm Pflug mit seiner unbändigen Kraft – auch der wurde ein Bild fürs Leben. Genauso wie der Rottweiler vom Simmerl-Hof, der an einer Lafette gelaufen ist und jeden Fremden fletschend und bellend vom Hof scheuchte. Mit ungefähr vier hat sich der Sepperl in dessen Hundehütte zum Schlafen gelegt – und der Rottweiler hat ihn abgeschleckt. Auch dies ist tief in Vilsmaiers Seele abgelegt, wie die Tante Rosi in München, die ihn umschlungen hat.

Alleine leben – das war für Vilsmaier nicht denkbar. Die Wärme einer Familie, die hat ihn durch Dick und Dünn getragen. Und die Bilder seiner Kindheit sind Filmszenen geworden. Auch die Münchner. Wie aber wurde der Sepp zum berühmten Künstler, zum Musiker, der am Konservatorium im Hauptfach Klavier studierte, zum Kameramann, zum Regisseur?

Nun, da stand am Anfang erst einmal ein Unglück. Weil der Bub im Nachkriegsmünchen im Schwarzhandel in der Möhlstraße Karriere machte, steckten die Eltern den Sepp ins Internat – ins Franziskanerinnenkloster bei Augsburg. Das Heimweh war fürchterlich. Bis es ihm Schwester Flaviana antat, ein hochgeistiges Wesen, das die Kirchenorgel spielte und im kleinen Joseph den Sinn für das Schöne weckte. Sie gab ihm Klavierunterricht, zum Dank tat er sich als Vorbeter hervor. Am Ende wollte der Sepp Musiker, Radrennfahrer oder Kameramann werden.

Ersteres und Letzteres hat sich erfüllt: Erst kam die Feinmechanikerlehre bei ARRI im Kamerabau, dazu studierte er am Konservatorium Klavier. Geld verdient hat er am Wochenende mit einer Band und nachts mit Taxifahren; auch mit Haustürgeschäften von farbiger Bettwäsche nebst Teppichen an Pfarrhöfe. „Ich hab’ verkauft wie ein Weltmeister“, sagt er. Es ging ihm so gut, dass er sich ein hellblaues MG Cabrio und einen Opel Rekord leisten konnte. „An einem Tag habe ich sogar einmal 1460 Mark gemacht, dafür hätte ich mir damals ein Grundstück in Grünwald kaufen können.“

Weil sich die Läufer aber als nicht farbecht und wurzelbürsten-resistent erwiesen, schrieb ihm die Oma aus Hebertsfelden einen Brief nach München. Er solle sich eine Zeit lang nicht blicken lassen, der Ärger wäre groß. Was den Sepp zu neuen Plänen zwang.

1961 kam das Angebot, bei der Bavaria Film als Materialassistent anfangen zu können. Bald war er Kameraassistent und die Geschichte des Filmemachers nahm ihren Lauf. So sagt der Sepp heute: „Meine Filmmutter ist die Bavaria, ihr verdanke ich mein ganzes Leben. Und der Vater ist die ARRI.“ Und er sagt: „Ich hatte das Glück, in der besten Zeit zu leben.“ Heute sei die Filmfinanzierung fast schon unmöglich.

Die Welt des Films – die hat der Mingara-Sepp auch nach Hebertsfelden getragen, immer wieder hat er im Rottal gedreht, manchmal nur Szenen – „Herbstmilch“, „Rama Dama“, „Schlafes Bruder“ oder „Bayern Sagenhaft“. Einige seiner Filme gingen um die Welt. Aber alle haben eine niederbayerische Seele.

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