Hamburg – Als alles gelaufen ist, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer „Danke“. Unzählige Male. Sie dankt ihrer Partei, sie dankt ihrer Vorgängerin und immer wieder ihren beiden Mitbewerbern. Friedrich Merz und Jens Spahn.
Gerade hat die Frau, die nichts so sehr hasst wie den Spitznamen „Mini-Merkel“ und doch für viele für die Politik der Kanzlerin steht, den Parteivorsitz errungen. Mit am Ende 517 zu 482 Stimmen in der Stichwahl gegen Friedrich Merz. Die konservative Wende ist abgesagt.
Doch im Moment des Triumphs gibt es keinen großspurigen Auftritt von Kramp-Karrenbauer, keine in den Himmel gereckte Faust, kein Triumphgeheul. Es ist der leise Sieg einer leisen Frau.
Sie weiß, dass ihr ein Kraftakt bevorsteht. Die CDU hat nun eine Parteivorsitzende und eine Kanzlerin. Quasi als Nebenkanzlerin muss AKK mit Angela Merkel nicht nur die CDU, sondern auch die Koalition zusammenhalten. Und dann soll sie auch noch eine Partei in die Zukunft führen, die sich gestern immer wieder ihrer Geschlossenheit versichert. Doch wie weit reicht die wirklich?
Der Aufschwung müsse nun weitergehen, beschwört Kramp-Karrenbauer noch von der Bühne aus die beiden Männer. Sie müssten nun alle „gemeinsam diese große Volkspartei erhalten“. Und Merz und Spahn sollen dabei mithelfen. Spahn, der 38-Jährige, sagt „Ja“. Und Merz? Eher: Nun ja, mal sehen.
Der Mann, der 2002 Angela Merkel unterlag und nun gegen ihre Wunschkandidatin verloren hat, formuliert verdächtig verhaltene Sätze wie: „Es hat trotzdem großen Spaß gemacht.“ Und dass er stolz sei auf einen Prozess, „um den uns alle Parteien beneiden“. Er sagt zwar auch, er sei bereit, weiter Verantwortung zu übernehmen. Nur: Fürs Parteipräsidium will er dann doch nicht kandidieren.
„Ein wenig enttäuschend ist das“, sagt CDU-Mitglied Hans-Joachim Gayko. Der Hamburger ist kein Delegierter, sondern als Gast hier. Dass Merz gesagt habe, er werde helfen, wenn man ihn braucht, könne schließlich alles bedeuten – und nichts, findet Gayko.
Und Spahn? Er wolle „auf jeden Fall im Team bleiben“, beteuert der Gesundheitsminister seine Loyalität. Zur CDU. Zu Kramp-Karrenbauer. Zur„Rockband“, die gemeinsam durch acht Regionalkonferenzen gezogen ist.
Dem jungen Spahn bleibe ja auch gar nichts anderes übrig, sagt Gayko. Aber vielleicht sehe er das auch zu kritisch. Insgesamt gefalle es ihm, wie seine Partei derzeit auftrete.
Tatsächlich liefern sich die drei Kandidaten gestern in ihren Reden erneut einen streitfreudigen, aber respektvollen Schlagabtausch.
Die spätere Siegerin legt vor. 1981 hat sie sich den Christdemokraten angeschlossen, ruft Kramp-Karrenbauer den Delegierten zu. Auch damals habe in der Bundesrepublik eine gewisse „Endzeitstimmung“ geherrscht. Und genau deshalb habe sie sich für die CDU entschieden, „weil sie die Partei war, die nicht den Schwarzmalern hinterherlief“. Auch heute seien Ängste und Horrorszenarien wieder auf dem Vormarsch, sagt sie. Die CDU hingegen sei als regierende Volkspartei so etwas wie „das letzte Einhorn in Europa“.
Sie formuliert ein starkes Bekenntnis zu einer starken EU. Sie fordert einen kraftvollen Staat, der sich „nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sei es von Kleinkriminellen, Autonomen oder Clans. Das Thema Migration spart die Saarländerin dann aber aus. Der Applaus ist kraftvoll, wenn auch fernab von frenetischem Jubel.
Richtig kämpferisch wird AKK immer dann, wenn es darum geht, was andere ihr absprechen. Sie werde zeigen, „dass es bei Führung mehr auf innere Stärke als auf Lautstärke ankommt“, poltert die 56-Jährige. Und dann vorsorglich noch ein kleiner Seitenhieb gegen ihren Redenachfolger. Den stärksten Angriff gegen den politischen Gegner fahren? „Das kann jeder von uns, aber das reicht mir für eine Partei wie die CDU nicht aus.“
Dann Merz: Auch er blickt zunächst weit zurück. In die frühen 90er-Jahre, als der „Brexit undenkbar“ war, „China Entwicklungsland“ und „Amerika fest an unserer Seite“. Auch er beschwört ein einiges Europa und hebt dabei die Rolle der CDU hervor, die insgesamt 50 Jahre den deutschen Kanzler stellte. „Keine andere Partei“ sei deshalb so sehr dazu aufgerufen, sich der Stabilität auf dem Kontinent zu verschreiben, sagt Merz.
Dann schaltet er hoch. Druckvoll, wie ein Raubtier, das seit mehr als 15 Jahren zum Sprung ansetzt. Er wolle niemandem den guten Willen absprechen, die AfD zurückzudrängen. Aber es gelinge der CDU augenscheinlich nicht. „Im Gegenteil“, ruft Merz. Mit ihm, verspricht er, gebe es wieder klare Kante. Er wolle nicht nur mit der AfD streiten, sondern auch mit SPD, FDP und Grünen. „Ohne klare Positionen bekommen wir keine besseren Ergebnisse.“
Als Dritter spricht Jens Spahn. Der 38-Jährige kokettiert mit seiner Außenseiterrolle. Man habe ihm geraten aufzugeben, er solle doch nicht so ungeduldig sein, so überambitioniert – wo er doch gar keine Chance habe. Doch angenommen, andere hätten so gedacht, sagt Spahn: „Hätten wir die Wiedervereinigung erlebt?“ Viel Pathos schwingt mit, mancher im Saal kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Anders als seine Vorredner blickt Spahn nicht in die Vergangenheit, sondern wendet sich nach vorne. Er wünsche sich ein Deutschland 2040, das von der CDU regiert wird. Aber dafür müsse sich so manches ändern in seiner Partei. Zum Beispiel, dass sie heute mehr Mitglieder im Alter über 75 Jahren hat als Unter-40-Jährige. Gerade sei „ein neuer Geist zu spüren“ in der CDU. Die Partei müsse ihn bewahren. „Das hier darf kein Endpunkt sein, das muss ein Startpunkt sein“, ruft Spahn. Er setzt alles auf sein Image als Erneuerer – und verliert gestern trotzdem.
Denn es kommt zunächst, wie von vielen erwartet: Im ersten Wahlgang holt Kramp-Karrenbauer 450 Stimmen, Merz 392, Spahn 157. Spahn ist raus. Merz und Kramp-Karrenbauer gehen in die Stichwahl. Dann der zweite Wahlgang. AKK triumphiert.
Philip Amthor darf man getrost als die Zukunft der CDU bezeichnen. Er ist 26 Jahre alt und sitzt im Bundestag. Spahn habe eine großartige Rede gehalten, sagt Amthor. „Deshalb habe ich ihn auch gewählt.“ Was hält er nun vom Ergebnis? Kein Grund, Trübsal zu blasen, sagt Amthor. „Der Aufbruch muss ein Signal sein.“ Und Kramp-Karrenbauer könne dafür sorgen, dass dieses Signal gehört werde.