München – Es gab schon wildere Zeiten, das sei mal vorausgeschickt. Anfang der 80er, als Willi O. Hoffmann Präsident des FC Bayern war, formierte sich eine aktive Opposition gegen den Patriarchen – fristgerecht zu einer Jahreshauptversammlung, bei der Wahlen anstanden. Ungeheuerlich: Eine aktive Opposition – im Freistaat, beim Rekordmeister des deutschen Fußballs! Am Tag der Versammlung titelten die Zeitungen, der Patriarch werde gestürzt. Hoffmann, Beiname „Champagner-Willi“, rief Uli Hoeneß an: Der damalige Manager solle doch bitte eine Stunde vorher kommen, um eine Rede vorzubereiten. Die hielt Hoeneß dann auch. Am Ende stimmten 49 von 1200 Anwesenden für die Opposition.
Angesichts der turbulenten Wochen, die den FC Bayern gerade beuteln, könnte man heute wieder einen heikleren Verlauf erwarten, wenn der Verein zu seiner Jahreshauptversammlung einlädt. Einerseits. An der Säbener Straße gehen sie allerdings von einem ruhigen Abend aus. Was soll man den Bossen konkret vorwerfen? Die Kader-Planung? Die Verpflichtung von Trainer Niko Kovac? Die peinliche Pressekonferenz im Oktober? Im Vergleich zu richtig wilden Zeiten sind das doch eher Semmelbrösel.
Und dennoch: In der Öffentlichkeit, auch unter den Fans, hat sich ein neues Bild vom FC Bayern verfestigt: Aus der Zeit gefallen und unsouverän. Und: nicht länger vom Erfolg abgebusselt. Kinder, die heuer eingeschult wurden, kennen keinen anderen Fußball-Meister als den aus München. Nun ist Dortmund mit neun Punkten Vorsprung Erster, der Titel dürfte nach sechs Jahren Abo futsch sein. Wenn der Erfolg ausbleibt, wird man angreifbar. Um zu verstehen, wie das aktuelle Vereinsbild entstand, muss man den fehlenden Erfolg als das erkennen, was er ist: unabdingbarer Grundton jedes Bayern-Gemäldes. Ohne ihn ist alles schlecht, was bisher gut gewesen ist. Prompt entsteht ein neues Bild.
Und es gibt Menschen, die ganz gerne ein neues Bild malen wollen. Zumal die Bayern-Bosse ihr Kunstwerk selbst mit einigen satten Pinselstrichen verschmiert haben. Die in die Annalen eingegangene Pressekonferenz vor einigen Wochen verfehlte völlig die Wirkung, die man erreichen wollte. An der Säbener Straße hatte man sich einer Kampagne ausgesetzt gesehen, wie man sie lange nicht erlebt hatte – weil die Chance nun da ist, den Verein endlich einmal kleinzumachen. Die Lust der Deutschen am Sturz ihrer Idole ist verbrieft. Doch statt sachlich auf die tendenziöse Berichterstattung hinzuweisen, lief alles aus dem Ruder.
Zwei Fehler räumen sie inzwischen ein: Der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hätte nicht das Grundgesetz, Artikel eins, anführen sollen – und Präsident Uli Hoeneß nicht die Würde des Menschen nur wenige Sekunden später mit hemdsärmeligen Ausdrücken in den Boden stampfen dürfen. Die Bosse hatten sich auf den Kriegspfad begeben. Seitdem eskaliert die Sache. Ein bis zwei Maulwürfe in der Mannschaft beliefern die Medien mit belastendem Material aus der Kabine, außerdem verstreicht keine Chance ungenutzt, den Club mit großen Schlagzeilen anzuprangern. Hoeneß etablierte sich dabei als Zielscheibe Nummer 1. Er liefert mit seiner emotionalen Art genug Angriffsfläche.
Das Zerwürfnis mit Paul Breitner ist da ein gutes Beispiel. Anfang der Woche kam die Meldung auf den Markt, der frühere Weggefährte habe seine Ehrenkarten zurückgeschickt, weil ihn Hoeneß nach dessen deutlicher Kritik wegen der vergeigten Pressekonferenz nicht mehr im VIP-Bereich sehen wolle. Die Wahrheit ist, dass es keine alleinige Entscheidung des Präsidenten war – und dass das entsprechende Telefonat bereits vor sechs Wochen stattgefunden hatte. Lanciert wurde es erst jetzt. Der Zeitpunkt passte nach dem 3:3 gegen Düsseldorf besser rein.
Die Bayern sind zum Spielball geworden. In einem offenen Schlagabtausch werden sie hin und her geprügelt von Medienkonzernen, in den ihnen suspekten Internetforen und von sogenannten Experten, die es inzwischen in einer solchen Anzahl gibt, dass man bald ein eigenes Panini-Album mit ihnen bestücken könnte. Stefan Effenberg, Lothar Matthäus, Dietmar Hamann machten sich einst bei Bayern einen Namen, nun sitzen sie in TV-Studios und sezieren die Arbeit ihrer früheren Chefs, was ja noch okay wäre, doch selbige bringt auf die Palme, dass die Experten selbst nie was auf die Beine gestellt haben, seit sie den Rasen verließen. Im Gegenteil. Nun verdienen sie ihr Geld mit dem, was ihnen blieb: Ihre Meinung. Es lohnt sich, eine konträre zu vertreten.
Dummerweise müssen die Bayern-Chefs aus dem Kreis der Experten mal ihre Erben rekrutieren, wohl oder übel. Hoeneß rief als Anforderungsprofil die eierlegende Wollmilchsau aus, und hochklassig Fußball gespielt haben soll sie natürlich auch. Allerdings wundert es die Bosse, wie hektisch die Medien derzeit ihre Nachfolger suchen. Zwar ist es das wichtigste Projekt der nächsten Jahre, doch angepeilt ist ein Übergang um Jahresmitte, Jahresende 2021, plusminus, denn der Schuss muss sitzen. Hoeneß will bis dahin kämpfen wie ein Löwe, sagt er, und auch Rummenigge ist nicht minder entschlossen, den Verein erst dann zu übergeben, wenn er die Turbulenzen hinter sich hat. Sie haben Oliver Kahn im Auge, auch der clevere Gladbacher Manager Max Eberl ist im Rennen. Aber es herrscht keine Eile.
Natürlich geht es auch um das Vermächtnis, das die beiden hinterlassen wollen. Für den nächsten Sommer liegen 200 Millionen Euro für Transfers parat, der Aufsichtsrat, der voll hinter Hoeneß und Rummenigge steht, gibt diese Summe frei, zumal er weiß, dass sie nicht um jeden Preis ausgegeben wird. Hier ist man wieder bei den Dingen, die Jahre gut waren und plötzlich schlecht sein sollen. Die Bayern wurden lange gelobt, dass sie keine Unsummen investieren. Inzwischen legen es manche als Schwäche aus. Auch dass die Tür von Hoeneß für die Stars immer offen steht, galt stets als eines der Erfolgsgeheimnisse des Vereins – nun lesen sich manche Geschichten so, als wäre es ein Problem, dass die Spieler sich auf der Couch des Chefs auslassen dürfen.
Er wird das nicht ändern, niemals, sagt er, es ist eine Charakterfrage, und so hebt sich der Verein von allen anderen Top-Clubs ab. Erst dieser Tage saß Manuel Neuer auf einen Kaffee an Hoeneß’ Tisch. Familie ist für den Präsidenten keine Floskel, ebenso wenig Dankbarkeit, deshalb bekamen die Oldies Franck Ribery und Arjen Robben noch mal neue Verträge. Sie haben so viel für den Verein geleistet, sie haben sich würdige Abschiede verdient. Einen Titel kann man verlieren – aber nie sein Gesicht, so Hoeneß’ Credo. Sobald sich eine Opposition mit einer findigeren Philosophie formiert, macht er Platz. Vorher nicht.