München – Zwei Drittel der Befragten einer aktuellen Studie gaben an, sich um die negativen Auswirkungen einer Antibiotikaeinnahme zu sorgen. Erstaunlich hohe Zahlen für ein Medikament, das es bereits seit 90 Jahren gibt. Doch nicht nur die Medizin hat Fortschritte gemacht. Die Bakterien haben sich angepasst und Resistenzen gegen das Medikament entwickelt.
Mehr als 33 000 Menschen starben nach Untersuchungen der EU-Gesundheitsbehörde (ECDC) 2015 in der Europäischen Union an den Folgen von Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen – allein 2363 davon in Deutschland. Gegen diese Bakterien wirkt kein Antibiotikum mehr. Wissenschaftler warnen vor wachsenden Gefahren durch die Super-Keime und mahnen Gegenmaßnahmen an. Wir haben alle wichtigen Fragen zum Thema zusammengefasst:
Welche Wirkung haben Antibiotika?
Antibiotika sollen Bakterien abtöten oder deren Wachstum hemmen und so Infektionen kurieren. Es gibt mehr als 15 verschiedene Klassen von Antibiotika, die sich in ihrer chemischen Struktur und in ihrer Wirksamkeit gegen verschiedene Bakterien unterscheiden. Behandelt werden damit bakterielle Infektionen, zum Beispiel eine durch Pneumokokken verursachte Lungenentzündung. Gegen Viren können Antibiotika nichts ausrichten.
Wie entsteht eine Antibiotikaresistenz?
Bakterien sind sehr anpassungsfähig und wahre Überlebenskünstler. Sie vermehren sich sehr schnell. Dabei können spontan Veränderungen im Erbgut auftreten, sodass die Erreger unempfindlich gegenüber bestimmten Antibiotika werden. Einige Bakterien tauschen außerdem ab und zu kleine Stücke ihres Erbgutes untereinander aus. Auch dies kann die Erreger widerstandsfähig gegen Antibiotika machen.
Der übermäßige Einsatz von Antibiotika beim Menschen und in der Tiermast sowie eine unsachgemäße Einnahme der Medikamente, etwa durch falsche Dosierung oder einen vorzeitigen Abbruch der Therapie, fördern solche Resistenzbildungen. Zum Teil sind Bakterien auch von Natur aus immun gegen bestimmte Antibiotika.
Um welche Erreger geht es?
Laut Bundesgesundheitsministerium erkranken jährlich 400 000 bis 600 000 Patienten in Deutschland an Krankenhausinfektionen. Nur ein Teil davon geht auf antibiotikaresistente Erreger zurück. In den meisten Fällen handelt es sich um den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus – kurz MRSA. Dieser Bakterienstamm kann schwere bis tödliche Infektionen verursachen. Sogenannte Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) können gefährliche Darmkrankheiten auslösen (siehe Randspalte).
In anderen Fällen geht es um resistente Enterobakterien, die zur normalen menschlichen Darmflora gehören, für Kranke und Schwache aber eine Gefahr sind. Schätzungen zufolge kommt es in Deutschland jährlich zu 30 000 bis 35 000 Krankenhausinfektionen mit multiresistenten Erregern (MRE). Fälle außerhalb von Kliniken, in Pflegeheimen oder auf Reisen erworbene Infektionen sind nicht eingerechnet.
Treten diese Keime nur in Krankenhäusern auf?
„Jeder zu jeder Zeit in jedem Land“ könne sich mit einem antibiotikaresistenten Keim infizieren, erklärt die WHO. Krankenhäuser bieten jedoch einen idealen Nährboden für die Entstehung solcher Erreger, da dort viele kranke und geschwächte Menschen auf vielfach eingesetzte Antibiotika treffen. So können sich die Keime anpassen.
Was macht die Keime so gefährlich?
Für gesunde Menschen ist etwa MRSA in der Regel ungefährlich. Für immungeschwächte Patienten auf Intensivstationen, Krebskranke, Chirurgie-Patienten, frühgeborene Babys oder Menschen mit chronischen Wunden hingegen können multiresistente Erreger lebensgefährlich werden und unter anderem Lungenentzündungen, Wund- und Harnwegsinfektionen oder Blutvergiftungen auslösen. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge haben Antibiotika-Resistenzen ein „gefährlich hohes Niveau in allen Teilen der Welt“ erreicht.
Gibt es Behandlungsalternativen?
Versagen die üblichen Antibiotika, gibt es noch sogenannte Reserve-Antibiotika als letztes Mittel. Aber auch sie helfen nicht in allen Fällen. So sind beispielsweise Bakterien, die das Gen Mcr-1 in sich tragen, unempfindlich selbst gegen das wichtige Reserveantibiotikum Colistin, das auch in der Nutztierhaltung häufig verwendet wird. Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zeigten, dass das Mcr-1-Gen seit einigen Jahren auch in Keimen von Nutztieren und aus Lebensmitteln in Deutschland vorkommt.
Die Forschung arbeitet außerdem seit Jahrzehnten an gänzlich neuen Ansätzen, doch seit 30 Jahren wurden praktisch keine neuen Angriffsflächen entdeckt. Ein Grund dafür: Die Grundlagenforschung ist teuer und der Aufwand, ein Präparat zu entwickeln, das später möglichst wenig eingesetzt wird, lohnt sich für Pharmafirmen eher nicht.
Was wird in Deutschland gegen den Antibiotika-Missbrauch getan?
Bereits 2008 hat die Bundesregierung die sogenannte Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) auf den Weg gebracht. Ziel ist es, den Verbrauch von Antibiotika und die Resistenzen gegen die Medikamente sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin und Landwirtschaft stärker zu kontrollieren. So soll das Medikament nur noch eingesetzt werden, wenn es dringend nötig ist.
Wie kann man sich gegen resistente Keime schützen?
Gegen multiresistente Keime hilft vor allem eine ordentliche Handhygiene. Regelmäßiges und korrektes Händewaschen ist die Grundlage für einen möglichst keimfreien Alltag. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sollte von den Desinfektionsmöglichkeiten Gebrauch gemacht werden. Gleiches gilt für Menschen, die kranke oder geschwächte Angehörige zu Hause pflegen. afp, dpa, tb