„Wir brauchen Profis im Präsidium“

von Redaktion

Erst kurz nach der Wahl wollen die Fraktionsmanager diskret beraten, wie sie im Landtag mit der AfD umgehen

München – Im Landtag, oben am Präsidentenpult, gibt es einen unscheinbaren Schalter, der viel lehren könnte über Macht und Ohnmacht. Der „Revolutionsknopf“ ist vom Sitzungsleiter zu drücken, wenn ein Umsturz naht, Rebellion im Parlament, wenn alles außer Kontrolle gerät. Das klingt groß, doch die Folgen sind winzig: Die Mikrofone im Saal werden abgeschaltet, das des Präsidenten wird lauter gestellt.

Der Knopf, ein über die Jahre bewahrtes historisches Kuriosum im technisch längst hochmodernen Parlament, wird nicht genügen, wenn ab November eine Art politische Revolution ansteht. Der sehr wahrscheinliche Einzug der AfD wird das Klima im Landtag radikal ändern. Seit Monaten werden auf den Fluren die düstersten Szenarien besprochen. Vorbereitet hat die Politik allerdings, kurz gesagt: nichts.

Mehrfach berieten Abgeordnete hinter den Kulissen, welche Regeln sie nachschärfen sollten, die Geschäftsordnung modernisieren, Finanzfragen klären. Stets kamen sie überein: Finger weg von jedem Schritt, der die AfD oder auch die extreme Linke in eine Opferrolle drängen und ihr lauten Protest ermöglichen würde. „Das soll der neue Landtag entscheiden“, heißt es unisono. Als hätte der nicht dasselbe Problem.

Die Erfahrung anderer Parlamente lehrt: Oft versucht die AfD, über Provokationen, Regelverstöße, Aufmerksamkeit zu erregen. Schon Ende 2016 störten AfDler von der Besuchertribüne aus eine Debatte, die Polizei schritt ein.

Das ist durch Härte in den Griff zu bekommen, glauben Altgediente. „Die Geschäftsordnung gibt so viele Möglichkeiten, bis zur Saalverweisung – da muss durchgegriffen werden“, sagt Peter Paul Gantzer (SPD), der sechs Jahre lang Vizepräsident war. Bisher war das anders: Zornige Zwischenrufer, legendär der Grüne Sepp Dürr, wurden zurechtgewiesen, ein eher charmantes Ritual, das die Debatten bereicherte – sanktionierte Ordnungsmaßnahmen gab es die vergangenen Jahre keine einzige.

Klar ist: Viel hängt an den Sitzungsleitern. Halblaut räumen die Fraktionen ein, dass oft die Entsendung von Abgeordneten ins Landtagspräsidium eine Art Altenteil war, mit Zulagen versilbert. „Das geht so nicht mehr. Diesmal müssen Hochkaräter rein“, sagt eine erfahrene Abgeordnete. Profis mit Autorität müssen es sein, die die 200- Seiten-Geschäftsordnung auswendig kennen, schnell und hart reagieren. „Kategorie Schäuble“, heißt es. Vieles schlummert in den Paragrafen: dass die Sitzung für 30 Minuten unterbrochen ist, wenn sich der Präsident kein Gehör verschaffen kann und von seinem Stuhl aufsteht. Dass im Extremfall Abgeordnete für zehn Sitzungen suspendiert werden dürfen.

Womöglich wird die AfD selbst einen Vizepräsidenten benennen. Nach den seit der CSU/FDP-Koalition 2008 geltenden Regeln stellt die größte Fraktion – die CSU – den Präsidenten, jede Fraktion dazu einen Vize. „Einer demokratisch gewählten Partei steht auch ein Vize zu“, sagt Gantzer. Dann würde auch ein AfDler Sitzungen leiten. Die Fraktionsmanager von CSU, SPD, Grünen und Freien Wählern wollen das noch mal beraten, planen ein vertrauliches Treffen nächste Woche. Die Zeit drängt: Der Landtag soll sich am 5. November konstituieren, dann bräuchte die neue Geschäftsordnung eine Mehrheit.

Ohnehin ist der Einzug für die AfD (aber auch für jede Partei) eine Goldgrube. Jeder Abgeordnete bekommt zu seinen Diäten zwei Mitarbeiter. Eine Oppositionsfraktion erhält Räume im Maximilianeum oder in der Umgebung, pro Abgeordnetem und Monat 6613,52 Euro für ihre Ausgaben, darunter weiteres Personal, und 111 000 Euro Sockelbetrag. Rechnet man die Umfragen hoch, wären das 3 Millionen Euro pro Jahr. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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