Berlin – Der Auftrag war klar formuliert: Die Studie zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt durch Geistliche solle für „Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche“ sorgen. So hatte es der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, zum Start des Projekts 2014 erklärt – „um der Opfer willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen zu sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen“. Am morgigen Dienstag stellen die Wissenschaftler die Studie in Fulda vor.
Einige Ergebnisse sickerten bereits im Vorfeld durch: Für den Untersuchungszeitraum in den Akten von 1946 bis 2014 fand das interdisziplinäre Forscherteam um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing 3677 Betroffene sexueller Übergriffe und rund 1670 Priester, Diakone und Ordensleute als Beschuldigte – etwa 4 Prozent aller Geistlichen aus dem erfassten Zeitraum. Zahlen, über die sich die Bischöfe tief erschüttert zeigten: „Ich schäme mich für meine Kirche“, meinte etwa der Kölner Kardinal Rainer Woelki dazu, dass die Kirche solche Taten zugelassen habe und „dass nachweislich vertuscht wurde, weil man den Ruf der Institution über das Wohl des Einzelnen gestellt hat“.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, mahnte, konsequent die Belange der Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Missbrauch sei „eine Wunde, etwas, was uns zutiefst bedrückt und erschüttert und erschrocken macht, dass inmitten der Kirche das geschehen ist und geschieht“.
Zugleich forderten – neben Betroffenen, Verbänden und Politikern wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) – auch Bischöfe Konsequenzen. Essens Bischof Franz-Josef Overbeck rief dazu auf, die Ergebnisse und Empfehlungen der Wissenschaftler sehr ernst zu nehmen: „Dazu gehören vor allem auch die alarmierenden Hinweise, dass einige Vorstellungen und Aspekte unserer katholischen Sexualmoral sowie manche Macht- und Hierarchiestrukturen sexuellen Missbrauch begünstigt haben und immer noch begünstigen.“
Denn gleich in mehreren Kapiteln hat sich das Forscherteam – gemäß dem Auftrag der Bischofskonferenz – damit beschäftigt, welche Strukturen und Besonderheiten der katholischen Kirche Missbrauch begünstigen könnten. Immer wieder ist da die Rede von Klerikalismus und Machtmissbrauch, außerdem müsse man die Auswirkungen des Zölibats und die Einstellung zur Homosexualität kritisch hinterfragen.
Für ihre umfangreiche Untersuchung verknüpften die Forscher mehrere Methoden. Sie wollten ein „möglichst umfängliches Bild“ liefern, auch wenn zu ihren Vorgaben gehörte, den Datenschutz einzuhalten und keinen direkten Zugang zu den Originalakten zu bekommen. Neben der quantitativen Untersuchung bilden deshalb längere Interviews einen Schwerpunkt – mit Betroffenen, die sich meldeten, sowie mit Beschuldigten, die die Bistümer vermittelten. Um mögliche Besonderheiten herauszufiltern, wurden kirchliche mit anderen Missbrauchsfällen verglichen. Zudem analysierten die Wissenschaftler Ergebnisse anderer Studien aus aller Welt.
Birgit Wilke