Orden im Wandel

Bayerns Klöster suchen neue Bestimmung

von Redaktion

von Alois Ostler, Sabine Schäfer und Kathrin Brack

München – Als sie sich entscheiden zu gehen, sind sie noch vierzehn Schwestern. Sieben von ihnen sind über 80, die Jüngste ist 67 Jahre alt. Die verbliebenen Landshuter Ursulinen ziehen gemeinsam in ein Münchner Altenheim. „Die Entscheidung war schmerzlich, aber unausweichlich“, sagt Oberin Schwester Maria Andrea Wohlfahrter. „Wir wollten agieren und nicht erst dann, wenn es zu spät ist, reagieren.“ Der Umzug ermöglicht es den Frauen, zusammenzubleiben. Und so endet 2016 die Geschichte der Ursulinen in Landshut, wo die Schwestern seit 1668 gewirkt haben. Das Kloster wird im Erbe der Schwestern pädagogisch weitergenutzt (siehe Interview).

Im Fall der Ursulinen vollzog sich der Abschied aus den Klostermauern ohne Aufsehen. Das ist nicht immer so.

Fall 1: Das Kloster Altomünster

Jahrhundertelang war das Birgittenkloster Altomünster geistlicher Mittelpunkt in Altomünster im Kreis Dachau. Vier Tage vor seinem 520-jährigen Bestehen aber wird es im Januar 2017 per Dekret vom Vatikan aufgelöst. Das einzige Kloster des alten Zweiges des Erlöserordens in Deutschland wird von der Erzdiözese München und Freising übernommen. Mangels Nachwuchs.

Zuletzt hatte in dem riesigen Gebäude mitten in Altomünster nur noch die damals 62-jährige Schwester Apollonia Buchinger gelebt. Eine Mitschwester lebt seit Jahren in einem Münchner Altenheim, die drittletzte Schwester starb 2015. Zum Weiterbestehen müssen es aber wenigstens drei Schwestern sein.

Schwester Gabriele Konrad, damals Vorsitzende der Vereinigung der geistlichen Schwestern im Erzbistum, übernimmt wenig später die Auflösung des Klosters. Sie entlässt Jörg Johannes Fehlner, ehemaliger selbst ernannter Klosterdirektor und „Berater“ von Schwester Apollonia, sperrt Kunstschätze und Bilder weg, macht Inventur.

Schwester Apollonia muss sich nach 25 Jahren im Kloster Altomünster ein anderes Zuhause suchen. Zuerst kämpft sie noch mit der selbst ernannten Postulantin Claudia Schwarz, einer Juristin, um den Erhalt des Klosters. Doch im Februar 2017 gibt sie auf und zieht in ein Benefiziatenhaus in ihrer oberpfälzischen Heimat. Dort kann sie ehrenamtlich in der Pfarrei arbeiten.

Claudia Schwarz bemüht indessen noch ein ganzes Jahr lang sämtliche Gerichte. Sie hofft, dass Gott ihr und wohl auch dem Rest der Welt den richtigen Weg zeigt. Anfang April 2018 teilt ihr die Erzdiözese aber mit, dass das oberste Gericht der Apostolischen Signatur im Vatikan die Auflösung des Klosters endgültig bestätigt hat und sie zum Auszug verpflichtet ist. 14 Tage hat sie dafür Zeit. Ende April verlässt sie das Kloster, zieht in eine Wohnung, die ihr die Gemeinde Altomünster zur Verfügung gestellt hat.

Das Kloster ist verwaist. Doch die Gemeinde kann nun endlich mit den Arbeiten am Baugebiet Sandgrubenfeld beginnen, das zur Hälfte eben auch dem Kloster gehört hat.

Fall 2: Das Kloster Reutberg

Unterschriftenaktionen, Lichterprozessionen und zuletzt Rosenkranzgebete vor dem Ordinariat in München – alle mit dem Anspruch: Rettet den Reutberg. Das kleine Kloster auf einer Anhöhe nahe Sachsenkam im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen macht spannende Zeiten durch.

Und das ausgerechnet im Jubiläumsjahr: Vor 400 Jahren wurde das Frauenkloster gegründet. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts leben Franziskanerinnen am Reutberg. Heute sind es noch zwei Ordensfrauen, eine davon ist pflegebedürftig. „Das sind zu wenig für eine funktionierende Ordensgemeinschaft“, sagt Generalvikar Peter Beer. Er beruft sich auf Rom. „Die Auflösung des Klosters ist unvermeidlich“, hat der Vatikan angesichts des Nachwuchsmangels bereits vor zehn Jahren festgestellt. Die zuständige Religiosenkongregation in Rom wird die endgültige Entscheidung über die Auflösung demnächst treffen.

Das will die „Sachsenkamer Gruppe“ nach wie vor verhindern. Zu ihr gehören Vertreter der Gemeinde, der Pfarrei, des Fördervereins und der bisherige Spiritual. Über 7000 Unterschriften hat der Unterstützerkreis gesammelt. Die Unterzeichner fordern in einem Kompromissvorschlag, dem Konvent zehn Jahre Zeit zu lassen, „um sich zu erholen“.

Die Sachsenkamer Gruppe schlägt eine Zusammenlegung mit anderen Frauenklöstern vor. Das ist laut Ordinariat aussichtslos. „Wir haben bei allen Anfragen nur Absagen bekommen“, sagt Generalvikar Beer. So soll die Zukunft des Reutbergs aussehen: Geplant ist ein pastorales Zentrum. Patres der Familienmissionare sollen einziehen und in der regionalen Seelsorge tätig sein. Es soll Räume für Tagungen und Fortbildungen geben. Die historische Apotheke wird ein öffentliches Museum. Und es gibt wie bisher Gottesdienste für die Gläubigen.

Wie der Wandel die Orden trifft

Für die betroffenen Ordensschwestern und -brüder ist die Situation eine Herausforderung. „Manchmal braucht es die Haltung des Loslassens und Abschiednehmens“, sagt Schwester Ruth Maria Stamborski. Die 54-Jährige gehört seit 1984 zu den Missionsschwestern vom Heiligen Erlöser, die in der Diözese München-Freising auch Garser Missionsschwestern heißen. Sie ist die kommissarische Vorsitzende der Vereinigung der geistlichen Schwestern im Bistum und kennt die Probleme der Gemeinschaften. Sie sagt: „Unsere Lebensform wird immer fremder, und immer weniger Menschen entscheiden sich für sie.“

Jahrelang sei man davon ausgegangen, dass es immer weitergehe wie bisher – „so wie man auch davon ausgegangen ist, dass jede Gemeinde einen Pfarrer hat“. Stattdessen traf der Wandel die Orden. Viele Gemeinschaften haben es wie Kirche und Gesellschaft mit Überalterung zu tun, „darum müssen sie die Frage zulassen: Was ist noch möglich?“ Die Schließung eines Klosters sei der „Endpunkt eines langen Weges. Und der beginnt lange vorher mit der Frage, wie eine Gemeinschaft ihren Auftrag leben und wie man seine Gebäude füllen und nutzen kann“. Stamborski kennt Gemeinschaften, die sich beispielsweise bewusst entschieden haben, ihre eigenen Altenheime für die Bevölkerung zu öffnen. „Viele Gemeinschaften sind sehr kreativ unterwegs“, sagt sie.

Was das Erzbistum tut

Wie man Ordensgemeinschaften dabei unterstützen kann, ist eine Frage, die die Diözese München-Freising umtreibt. Sie steht den Orden begleitend zur Seite, hat in einigen Fällen die Klostergebäude übernommen. 119 Niederlassungen von Frauenorden gibt es im Erzbistum, 44 von Männerorden, dazu zählen auch kleine Zellen, die beispielsweise in der Gemeindeseelsorge aktiv sind. Im Jahr 2018 lebten im Bistum 1712 Ordensfrauen und 485 Ordensmänner – vor fünf Jahren waren es noch 2085 Frauen und 513 Männer.

„Das Erzbistum kann eine Anlaufstelle sein, wenn es darum geht, das Erbe der jeweiligen Ordensgemeinschaft zu erhalten und weiterzuentwickeln“, sagt Ordinariatsdirektorin Gabriele Rüttiger, die in der Erzdiözese das Ressort Grundsatzfragen und Strategie leitet. „Wir wollen Klöster als geistliche Orte erhalten, als spirituellen Bezugspunkt, als kulturelle Landmarken.“ Wenn die Diözese über eine neue Nutzung von Klostergebäuden nachdenke, seien zwei Dinge wichtig: „Die Menschen in der Umgebung sollen etwas davon haben, das Kloster soll zur lokalen Entwicklung beitragen, wie es schon immer klösterliche Tradition war. Und: Die besondere Spiritualität der Ordensgemeinschaft soll in der neuen Nutzung sichtbar werden.“

Trotz allem, sagt Schwester Ruth Maria Stamborski, sei die Unterscheidung zwischen der Nutzung eines Klosters und dem Fortbestand einer Gemeinschaft wichtig. „Da geht es um die Menschen, um Spiritualität und den Sendungsauftrag. Das andere sind die Gebäude.“ Es sei schön, wenn ein Ort wie das Kloster Reutberg der Öffentlichkeit erhalten bleibt. „Davon getrennt muss man sehen, was die Schwestern brauchen, um ihr geistliches Leben leben zu können.“ Den wenigen, die nachkommen, dürfe jedenfalls „nicht die Last aufgebürdet werden, dass alles so bleiben muss, wie es war“.

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