selbstGeschnitzter Nahverkehr

Per Bankerl durchs Oberland

von Redaktion

von marion neumann

Schlehdorf – Johannes Volkmann sitzt noch keine fünf Minuten auf der leuchtend roten Bank an der Kocheler Straße in Schlehdorf, als das erste Auto anhält. In dem blauen Van mit Tölzer Kennzeichen sitzen zwei junge Männer, der Beifahrer lässt das Fenster herunter. Normalerweise würde Volkmann jetzt einsteigen. Diesmal schickt er das Auto weiter. Der Fahrer setzt den Blinker und fährt zurück auf die stark befahrene Straße. Er ist tatsächlich ein wenig enttäuscht.

Volkmann nutzt die sogenannten Mitfahrbänke, die die Gemeinden Murnau, Riegsee, Aidling und Schlehdorf in den Kreisen Bad Tölz-Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen miteinander verbinden, regelmäßig. Heute macht er auch Werbung für sie. Denn er ist nicht nur ein Nutzer des „Selbstgeschnitzten Nahverkehrs“, sondern auch der Initiator dieses ungewöhnlichen Projektes.

„Wir wissen alle, dass es zu viel Verkehr gibt – und in vielen Autos ist nur der Fahrersitz besetzt“, sagt der 50-Jährige. Um gerade Kindern, Jugendlichen und Senioren ohne Auto in ländlichen Gegenden zu mehr Mobilität zu verhelfen, entschloss er sich deshalb, gemeinsam mit dem Verein „Zusammenkunst“ eine neue Form des öffentlichen Nahverkehrs zu schaffen. Dass die Holzbänke, die aus einer dicken Platte und vier Buchstaben, die das Wort „Halt“ bilden, in Teamwork mit den Kindern und Jugendlichen aus dem Ort gebaut werden, ist Teil des Konzeptes.

Eine der Werkstätten, in der zuletzt in den Pfingstferien fleißig geschnitzt, geschliffen und gestrichen wurde, befindet sich direkt an der Kocheler Straße, unweit der Bank, auf der Volkmann jetzt sitzt. In den Räumen des „Oikos-Haus“, einer Organisation „zur Förderung integraler Bildung und Ökologie“, hatte der letzte Schnitz-Workshop stattgefunden. Martin Schuster, Mitinitiator von „Oikos“, ist dafür auf Volkmann zugekommen. „Es ist ein Projekt von Bürgern für Bürger – ohne politische Institutionen dazwischen“, erklärt Volkmann.

Die Einzelteile einer weiteren Bank lehnen noch an der Wand des Hauses. Sie sollen demnächst in Kochel aufgestellt werden. „Wo genau, wird noch entschieden. Die Bänke stehen teilweise auf öffentlichen Plätzen, manchmal aber auch auf Privatgrund“, erklärt der Künstler. Rund um Garmisch-Partenkirchen sind für das kommende Jahr noch mehrere Bänke geplant. „Wir versuchen immer, das ganze Dorf in den Entstehungsprozess miteinzubinden. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch eigentlich gerne hilft“, sagt der 50-Jährige.

Workshops mit Kindern und Jugendlichen, das Einbeziehen der Bürger und die ökologischen Aspekte: Volkmanns „Selbstgeschnitzter Nahverkehr“ erscheint aus verschiedenen Gründen sinnvoll. Dennoch gibt es für das Projekt, das 2017 startete, auch Kritik. Dass gerade Kinder, denen sonst so eindringlich gepredigt wird, bloß nicht zu Fremden ins Auto einzusteigen, ermutigt werden, das Mitfahr-Modell zu nutzen, stößt auch auf Unverständnis.

„Natürlich wird über den Sicherheitsaspekt diskutiert“, gibt Volkmann zu. Auch das Schicksal der Tramperin Sophia L., die kürzlich auf dem Weg von Leipzig nach Amberg ermordet wurde, ruft aktuell vielen Menschen die Gefahren des Trampens ins Gedächtnis.

„Was mit der jungen Frau passiert ist, ist furchtbar“, sagt auch der Künstler. Für ihn sei es jedoch eine generelle Einstellungssache, sich auf diese Form des Nahverkehrs einzulassen: „Es ist ein tragischer Fall im Vergleich zu hundert guten Begegnungen. Über die spricht normalerweise nur niemand.“

Laut Volkmann gibt es da zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter aus der Gemeinde, deren Kind die Bank nutzt, um zum Sport oder zum Musikunterricht zu kommen. „Ohne dieses System würde das nicht gehen, hat sie mir gesagt“, erklärt er. Auch eine Familie aus Riegsee kam auf den Initiator zu. „Da die gesamte Familie das System so häufig nutzt, haben sich die Eltern dazu entschieden, auf ihr zweites Auto zu verzichten.“

Doch obwohl der Riegseer dafür plädiert, „das Vertrauen zu den Mitmenschen beizubehalten“, kann er die Bedenken, die gerade von Eltern kommen, nachvollziehen. Der anfängliche Versuch, Autos nach vorheriger Registrierung mit einem Aufkleber zu kennzeichnen, konnte sich nicht durchsetzen. „Dafür gibt es mittlerweile schon zu viele Bänke“, meint Volkmann.

Um das Mitfahrsystem dennoch transparenter zu gestalten, rät er Familien, die Kinder vor dem Einsteigen anrufen zu lassen: „Mittlerweile haben doch alle Kinder Handys. Wenn sie kurz anrufen oder eine Whatsapp-Nachricht mit den Kennzeichen des Autos schicken, bevor sie zusteigen, entsteht gleich eine ganz andere Atmosphäre. Der Fahrer weiß dann: Hier steht ein Erwachsenen dahinter.“ Er betont aber auch: „Das Mitfahrsystem basiert auf Eigenverantwortung.“

Dass das Thema derzeit viel diskutiert wird, zeigt auch ein Blick in andere oberbayerische Kommunen (siehe Kasten). Gemeinden wie Oberammergau entwickelten noch vor dem Verein „Zusammenkunst“ eigene Mitfahrbank-Modelle. Neben Bedenken bezüglich der Sicherheit, zweifeln einige Kommunen auch, ob sich die Bänke nicht negativ auf die Nutzung regionaler Busverbindungen auswirken könnten. Schließlich würden so in gewisser Weise zwei Arten des öffentlichen Nahverkehrs miteinander konkurrieren. Volkmann wundert sich über eine solche Argumentation: „Wer mit dem Auto unterwegs ist, fährt nicht Bus – und kann dann genauso gut auch jemanden mitnehmen.“

Ihm sei zudem wichtig zu betonen, dass es sich nicht bei allen Mitfahrbänken um den „Selbstgeschnitzten Nahverkehr“ handle. „Die Bänke heißen auch ,Mitfahrbänke’, schauen aber ein bisschen anders aus. Ich denke, dass bei den meisten der soziale Gedanke weniger im Vordergrund steht. Es ist eher ein Geschäftsmodell.“

Für den Verein „Zusammenkunst“ sei der gestalterische Aspekt wichtig. „Im Prinzip sind die Bänke Skulpturen – und die möchte ich auffällig gestalten. Sie sollen schon anders ausschauen, als eine normale Sitzbank“, erklärt Volkmann, der nach einer Holzbildhauer-Lehre in Oberammergau in Nürnberg „Kunst und öffentlicher Raum“ studierte.

Als „Skulpturen im öffentlichen Raum“, könnten die Bänke nicht nur jungen Menschen zu mehr Selbstständigkeit verhelfen. Auch Erwachsene würden sich in „Entschleunigung“ üben, indem sie auf den Bänken bewusst Wartezeiten in Kauf nähmen. „Ich kenne es ja selbst: Wenn man den Zug erwischen muss oder einen wichtigen Termin hat, muss alles schnell gehen. Aber manchmal sollte man sich bewusst entschließen, sich etwas mehr Zeit zu nehmen“, sagt Volkmann.

Auf den schmalen roten Bänkchen Platz zu nehmen, sei für die meisten Bewohner der Gemeinden wohl erst einmal ein Experiment. „Wenn man da sitzt und wartet, während die Autos an einem vorbeirauschen, kommt man sich vielleicht erst einmal blöd vor“, so Volkmann. „Die ersten Male braucht es schon etwas Mut.“ Für die Zukunft wünscht sich der Künstler, dass die Bänke für die Menschen in der Region zur Selbstverständlichkeit werden: „Wenn es für die Leute irgendwann ganz normal ist, zu fragen: ,Nehmen wir heute das Auto, den Bus oder die Bank?’ – das wäre doch toll.“

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