„Verlieren gehört dazu – wichtig ist, dass man wieder aufsteht“

von Redaktion

TUM-Professor Jürgen Beckmann glaubt nach dem WM-Aus nicht an eine deutsche Depression – Das Debakel könne Veränderungen bewirken

In Deutschland herrscht nach dem Aus in der Gruppenphase bei der WM in Russland Katerstimmung. Jürgen Beckmann, Lehrstuhlinhaber für Sportpsychologie an der TU München, glaubt nicht, dass die Stimmung in Deutschland lange auf dem Tiefpunkt bleibt.

-Hat das frühe Aus bei einem Großereignis wie der WM die Kraft, die Stimmung im Land für längere Zeit runterzuziehen?

Die Frage ist: Steht der Fußball im Zentrum des persönlichen Lebens oder nicht? Wenn nichts anderes da ist, kann das zu einer längeren depressiven Stimmung führen. Es kommt darauf an, wie jeder Einzelne damit umgeht. Lernt man etwas aus negativen Erlebnissen oder sagt man „Mein Gott, jetzt sind wir völlig am Boden“? Das ist der entscheidende Punkt. Man muss den Blick nach vorne wenden und sagen, es ist schiefgegangen. In zwei Jahren ist wieder Europameisterschaft, in vier Jahren Weltmeisterschaft. Wenn wir aus diesem Debakel lernen, dann stehen wir wieder anders da. Vielleicht hat es das mal gebraucht.

-Trotzdem haben manche Fans das Gefühl, es ist alles schlecht. Welche Wirkung hat der Fußball auf die Gesellschaft?

Sicherlich hat der Fußball in Deutschland einen großen Einfluss auf die Gesellschaft. Gerade in Zeiten, in denen es wichtig ist, sich zu identifizieren, hat der Sport eine wichtige Funktion. Das heißt aber nicht, dass eine Niederlage reflektiert: Uns geht es insgesamt schlecht, wir müssen jetzt mit gesenktem Kopf durch die Gegend schleichen. Verlieren gehört zum Sport dazu, wichtig ist, dass man wieder aufsteht. Wir können uns ja auch darauf besinnen, dass die deutsche Nationalmannschaft bei der letzten WM den Titel gewonnen hat. Den hat man eben nicht abonniert. Und: Auch andere Top-Teams haben Probleme.

-Eine ähnliche Erfahrung hat Fußball-Deutschland zuletzt bei der EM 2004 gemacht.

Danach wurden auch Veränderungen vorgenommen. Nach der EM 2004 wurde die Mannschaft gescholten, als Gurkentruppe bezeichnet. Sie wurden niedergemacht ohne Ende. Mit Jürgen Klinsmann kam ein Sunnyboy aus Kalifornien und alles wurde anders. Er hat eine positive Stimmungslage reingebracht und eine Fehlerkultur etabliert. Es sind Nuancen, die den Unterschied machen können.

-Wird man sich auch in 20 Jahren noch mit Graus an diese Weltmeisterschaft erinnern?

Das wird wahrscheinlich so sein. In den Statistiken wird immer erwähnt werden, dass es ein Aus in der Gruppenphase davor noch nie gegeben hat. Vielleicht wird das im Nachhinein aber auch als der Start eines frischen Windes gesehen.

Interview: Sebastian Schuch

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