Deutschtürken könnten die Wahl entscheiden

von Redaktion

Präsident Erdogan ist bei in Deutschland lebenden Türken extrem beliebt – Forscher erkennen steigenden Frust bei jungen Türken

München/Köln – Wie begeistert man stramme Erdogan-Anhänger für die säkulare Demokratie? Vor der Frage stehen Integrationspolitiker spätestens seit dem Verfassungsreferendum in der Türkei ziemlich ratlos. Zwar ging im April 2017 nur knapp die Hälfte der wahlberechtigten 1,4 Millionen Deutschtürken überhaupt zur Wahl. Doch davon stimmten 63 Prozent, viele mit doppelter Staatsbürgerschaft, für den Umbau in ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht verschafft. In der Türkei selbst kam der autoritäre Staatschef nur auf dünne 51 Prozent.

Rein rechnerisch hätten die Deutschtürken den Potentaten sogar stoppen können. Laut Umfragen kommt es auch bei der bevorstehenden Wahl auf die Auslandstürken an. Erdogan bekommt, wie schon 2015, im ersten Wahlgang wohl keine absolute Mehrheit. Die Deutschtürken könnten das Zünglein an der Waage sein, sie stellen drei von fünf wahlberechtigten Auslandstürken. Seit diesem Donnerstag dürfen sie bundesweit in 13 Wahllokalen ihre Stimme abgeben. Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hatte die Bundesregierung zuvor untersagt.

Bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 und den Neuwahlen im November erhielt Erdogans AKP in Deutschland die absolute Mehrheit. Die Hochburgen: Münster, Essen und Düsseldorf. Aber auch in München gingen knapp zwei Drittel der Stimmen an Erdogan. Warum so viele Deutschtürken einen Mann unterstützen, der sein Land peu à peu in einen Polizeistaat verwandelt, zeigen Studien. Demnach fühlen sich hunderttausende islamisch-konservative Türken in Deutschland weder angenommen noch zuhause. Dagegen gibt ihnen Erdogan Nationalstolz und religiöse Identität. Laut einer Umfrage im Auftrag des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) aus dem Jahr 2015 gaben fast 48 Prozent der Befragten an, nur die Türkei als ihre Heimat zu empfinden. 2010 waren es knapp 30 Prozent. Ein sogar nachvollziehbarer Grund seiner hohen Sympathiewerte ist aber auch, dass er und seine AKP lange eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben. Zehntausende Türken zog es deshalb jedes Jahr zurück.

2010 war auch das Jahr, in dem Erdogan das Ministerium für Auslandstürken gründete. Die Behörde pflegt intensiv das Kümmerer-Image des Präsidenten. Auch wenn sich der vom türkischen Religionsministerium gesteuerte Moscheeverband Ditib mit seiner unverhohlenen AKP-Propaganda nach empörten Reaktionen aus Berlin zügelt – die Moscheen bleiben aus Sicht von Haci-Halil Uslucan, dem wissenschaftlichen Leiter des ZfT, starke Werbetrommeln vor den anstehenden Wahlen. kna/ses

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