Vereinsfeste

Wenn die Freude am Feiern vergeht

von Redaktion

von Anne-Nikolin Hagemann

Babensham – Wie viele bayerische Gemeinden lebt Babensham im Kreis Rosenheim von seinen Vereinsfesten. Das sagt auch Josef Huber, und der muss es wissen: Er ist nicht nur seit 2002 Bürgermeister im Ort, sondern auch Mitglied in 20 Vereinen. In diesem Jahr wird seine Gemeinde ein bisschen weniger lebendig sein als sonst. Nicht nur das Schützen- , sondern auch die Feuerwehr- und Gartenfeste, die Volksmusiktage, das Steckerlfisch- und das Kesselfleischessen werden wohl nicht stattfinden. „Alle kleinen Vereinsfeste sind abgesagt. Oder die Absage ist in Planung“, sagt Bürgermeister Huber.

Babensham steht exemplarisch für viele Orte im Freistaat und ihre Vereine. Der Grund für die Absagen sind hier wie dort gesetzliche Vorschriften, die eigentlich nicht neu sind: Ist ein Fest für mehr als 200 Besucher geplant oder soll dabei ein Zelt mit mehr als 75 Quadratmetern Größe aufgebaut werden, ist eine Genehmigung des Landratsamtes nötig. Dafür müssen verschiedene Unterlagen fristgerecht eingereicht werden, das Amt prüft sie, stellt eventuell Auflagen, die wieder überprüft werden müssen. Dann noch die Abnahme vor Ort. Alle Unterlagen müssen mindestens vier Wochen vor dem Veranstaltungstag vorliegen. Steht ein Zelt an einem feststehenden Gebäude, sind es drei Monate. Bei Verstößen drohen Strafen von bis zu 500 000 Euro.

Babenshams Schützen-Chef Kurt Huber erfährt bei einer Infoveranstaltung des Landratsamtes Rosenheim Ende März erstmals im Detail von diesen Vorschriften und Fristen. Da ist er schon seit zwölf Jahren Vorsitzender des Vereins. Vielen Kollegen aus Nachbarvereinen sei es ähnlich gegangen, sagt er.

Das Fest, mit dem sie „125 Jahre Schützenverein“ feiern wollten, sollte vom 15. bis zum 17. Juni stattfinden, ein Zelt mit Platz für 300 Leute wollten sie aufbauen, neben dem Gebäude der Kindertagesstätte, gegenüber vom Fußballplatz. Kurt Huber blättert den Antrag durch, sieht, welche Unterlagen er braucht, Lageplan, Grundriss, Brandschutzkonzept, Schnitt, Statiknachweis. Am Tag nach der Infoveranstaltung fährt Kurt Huber zu Josef Huber, dem Bürgermeister. „Sepp“, sagt er, in Babensham duzt man sich, „das Fest, das sag ich ab.“

Josef Huber würde gern helfen, den Brandschutz durch die Feuerwehr sicherstellen, die Statik vom Bauhof prüfen lassen. Er darf nicht. Laut Gesetz ist die Genehmigung ab einer der beiden Grenzen, 75 Quadratmeter Zelt oder 200 Personen, Sache des Landratsamtes. „Bürokratischer Wahnsinn“ ist das für Schützenvorstand Huber. „Ich will doch nur ein Fest feiern, kein Haus bauen.“ Außerdem sind die Auflagen zum Brandschutz nicht die einzigen, die er einhalten muss: Da gibt es noch Hygieneschutz, Datenschutz, Jugendschutz. Die Sahnetorten müssen gekühlt, die Fotos jederzeit löschbar, das Radler für alle unter 16 unerreichbar sein. „Vielleich sollen wir als Nächstes auch den Terrorschutz bedenken?“

Vom Landratsamt heißt es, man wollte mit der Informationsveranstaltung Vereinsvertreter „lediglich über die seit vielen Jahren feststehende Praxis informieren“. Die Reaktionen darauf seien „gemischt“ gewesen. Bürgermeister Huber, selbst stellvertretender Landrat des Landkreises Rosenheim, glaubt, die eigentlich sehr sinnvolle Veranstaltung sei der Tropfen gewesen, der bei vielen Ehrenamtlichen das Fass der Unzufriedenheit über die Bürokratiebelastung zum Überlaufen gebracht hat: „Man hat Vereinsvorstände darauf hingewiesen, dass sie die letzten Jahre oder Jahrzehnte etwas gemacht haben, das sie nicht dürfen.“

Dabei habe es in Babensham in den letzten 25 Jahren kein Fest gegeben, bei dem die Sicherheit gefährdet gewesen wäre, sagt Huber. „Da haben wir in meiner Jugendzeit ganz andere Feste gefeiert.“ Neben dem Schützenverein haben nach der Informationsveranstaltung nach und nach auch andere kleine Vereine ihre Feste für dieses Jahr abgesagt.

Schützenvorstand Kurt Huber sagt: „Mir is da einfach der Kragen platzt, auf gut Bairisch. Aber nur schimpfen bringt ja nichts, man muss auch eine Lösung finden.“ Die einfache, stille Lösung wäre gewesen, bei der nächsten Wahl nicht mehr als Vorstand anzutreten und den ganzen Ärger loszuwerden.

Die wählt er nicht. Stattdessen ruft er eine Petition an die Staatsregierung ins Leben, „Feste feiern, aber die Vereine bald nicht mehr?“ nennt er sie. Die Forderungen: Genehmigungen von kleinen Festen in bis zu 300 Quadratmeter großen Zelten sollten durch die Gemeinde möglich werden, die Überprüfung des Brandschutzes durch die Fachmänner der Wehren vor Ort. Damit das geht, wäre eine Gesetzesänderung notwendig.

Im Bauministerium sieht man das skeptisch. Sich um die Sicherheit baulicher Anlagen zu kümmern sei grundsätzlich Sache des Staates, heißt es dort: „Insbesondere bei kleinen, ländlichen Gemeinden ist davon auszugehen, dass sie nicht über genügend fachkundiges Personal verfügen, um diese Aufgabe zu übernehmen.“ Die örtlichen Feuerwehren seien zwar fachkundig beim Thema Brandschutz, nicht aber beim Thema Standsicherheit. Zudem sei es bei ehrenamtlichen Feuerwehrlern „kaum vorstellbar, dass sie in der Lage sein sollten, zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben auch noch die Entscheidung über die Durchführung von Veranstaltungen zu übernehmen“.

Bürgermeister Josef Huber ist anderer Meinung. Eine Genehmigung von Festen bis 300 Quadratmeter Zeltgröße würde er sich zutrauen, größer wird in Babensham eh selten gefeiert. Neben den Feuerwehren für den Brandschutz könne er sich beim Thema Standsicherheit auch auf die Zimmerermeister in seinem Bauhof verlassen. Die Mehrheit der Bürgermeister der kleinen Gemeinden im Landkreis seien ähnlicher Meinung, sagt er. Und traue sich eine Gemeinde die Genehmigung nicht zu, gäbe es ja immer noch die Möglichkeit, dass sie sich an die untere Baubehörde wenden kann.

Josef Huber unterstützt die Petition. Gelten für ein kleines Vereinsfest die gleichen Auflagen wie für eine kommerzielle Großveranstaltung, würden gerade die darunter leiden, die das gesamte Dorfleben prägen. „Die sind ja nicht nur aktiv im Verein, sondern überall, von der Flüchtlingshilfe bis zur Kirche.“ Feuerwehrler haben zu ihm gesagt: „Man traut uns zu, Menschen aus brennenden Häusern zu retten – aber nicht, den Brandschutz unseres eigenen Zeltes zu beurteilen.“ Es geht nicht nur um Bürokratie, sondern auch um Wertschätzung.

Schützenvorstand Kurt Huber winkt ab: Wenn man ein Ehrenamt in erster Linie wegen der Wertschätzung mache, sei das sowieso falsch, meint er. „Das muss man machen, weil man es gerne macht.“ Seine Petition haben inzwischen weit mehr als 7000 Menschen unterzeichnet, Huber bekommt täglich Nachrichten von Vertretern anderer Vereine, aus dem Umland und von anderswo, Tenor: „Endlich sagt mal einer was!“

Er hat einige Interviews gegeben, das Fernsehen war auch schon da. Ein bisschen Sorge hatte er, dass die Leute denken könnten, es ginge ihm um Aufmerksamkeit für sich selbst. Aber bei der Jahreshauptversammlung vor ein paar Wochen, als er den Vereinsmitgliedern alles erzählt hat, von der Infoveranstaltung über die Absage bis zur Petition, habe es erst mal tosenden Applaus gegeben, erzählt er und strahlt. „Wenn man Applaus bekommt, weil man ein Fest absagt, will das was heißen.“

Eigentlich, sagt Kurt Huber, will er einfach nur gehört werden. Bis jetzt habe sich weder ein Landtagsabgeordneter, noch jemand aus Landratsamt, Bauministerium oder von der Regierung gemeldet. Ob er das Petitionsziel erreichen wird, weiß er nicht. Aber dass überhaupt über das Thema geredet wird, das sei schon was.

Das findet auch Bürgermeister Huber. Der wäre schon zufrieden, wenn die Petition dazu führt, dass man sich im Bauministerium mit der Sache befasst – selbst, wenn keine Gesetzesänderung dabei herauskommt. Außerdem wünscht er sich, dass auch die Gemeinden gehört werden: „Wohin läuft denn der Vereinsvorsitzende, wenn er unzufrieden ist? Nicht in die Staatskanzlei, sondern zu mir“, sagt er.

Ein bisschen feiern sie das Jubiläum im Schützenverein Babensham übrigens trotzdem. Mit einem kleinen Weinfest im Innenhof. Wenn es regnet, gehen sie in ihr Vereinsheim, da ist alles baurechtlich abgenommen. 2012 haben sie es selbst gebaut. In 4500 Stunden ehrenamtlicher Arbeit.

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