Die Richter und das viele Geld

von Redaktion

Von J. Von Daniels, T. Röttger und J. Sachse

Berlin/München – Richter und Staatsanwälte verteilen jedes Jahr viele Millionen Euro Geldauflagen an gemeinnützige Vereine. Sie entscheiden dabei frei, an welche Organisation das Geld gehen soll, wenn ein Verfahren eingestellt wird oder wenn ein Strafprozess mit einer Bewährungsstrafe samt Geldbuße endet. Einziges Kriterium für die Zuweisung: Die Organisation muss gemeinnützig sein. Kritiker fordern seit langem, die Zuweisung der Geldspenden transparenter zu gestalten.

„Ich versuche immer, einen Bezug zu einer Straftat herzustellen“, sagt Lisa Jani, Richterin an einem Berliner Strafgericht. Ein Beispiel: Wenn jemand seine Frau schlägt, wählt sie eine Einrichtung, die sich um Opfer häuslicher Gewalt kümmert.

Derart überlegt gehen viele, allerdings nicht alle Richter vor. Manche verteilen die Gelder auch an Tennis- oder Jazzclubs. 2015 erhielt sogar der Schweriner Yacht-Club Geld – immerhin 4000 Euro. Alle Zuweisungen finden sich in einer Datenbank des Recherche-Zentrums „Correctiv“. Im Jahr 2016 gab es demnach bundesweit Strafzahlungen von insgesamt 90 Millionen Euro. 2015 waren es sogar über 100 Millionen Euro.

Die Empfänger müssen die Verwendung der Gelder in der Regel nicht nachweisen. Die Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen halten sogar geheim, wer gefördert wurde. Dabei vergibt die Justiz dort mit rund 50 Millionen Euro die Hälfte aller bundesweiten Zuwendungen.

Angesichts dieser undurchsichtigen Praxis rumort es – auch in der Justiz selbst. Die „Neue Richtervereinigung“ fordert mehr Transparenz. Ulf Thiele, Amtsrichter in Schleswig-Holstein und Sprecher für den Bereich Strafrecht, sagt: „Es muss klar sein, von welchem Richter ein Betrag an wen verteilt wird.“

Genaue Regeln gibt es bisher nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Richter mit einer Zuwendung selbst begünstigt, etwa weil er Mitglied eines gemeinnützigen Vereins ist. „Ich hätte kein Problem, wenn die Richter erkennbar wären,“ sagt Thiele.

Groß aufgekommen ist das Thema vor einigen Jahren – durch einen Fall aus Bayern. Ab dem Jahr 2007 hatten Münchner Richter mit insgesamt wohl 90 000 Euro einen Verein unterstützt, der archäologische Ausgrabungen in Ägypten unterstützt. Und der von einer pensionierten Richterkollegin gegründet worden war. Das bayerische Justizministerium konnte oder wollte seinerzeit kein Fehlverhalten erkennen.

Die nun verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2016 liefern für die Gerichtsbezirke im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung keine derart offensichtlichen Ungereimtheiten. Auf den ersten Blick merkwürdige Posten finden sich aber durchaus. So bedachte das Oberlandesgericht München die Kinderhilfe-Stiftung des US-amerikanischen Milliardenkonzerns McDonald’s mit 32 060 Euro. Beim Alpenverein in Traunstein konnten sie 2016 von solchen Summen dagegen nur träumen. Immerhin 90 Euro bekamen die Bergfreunde vom örtlichen Landgericht zugeteilt.

Zu beachten ist, dass es sich bei den von den Gerichten aufgelisteten Summen um das Geld handelt, das von den Richtern zugewiesen wurde. Tatsächlich kann die Summe, die bei einer Einrichtung ankommt, davon abweichen – etwa weil der Betrag erst noch abgestottert wird. Oder weil der Zahler partout nicht überweisen will und eine Neuauflage des Verfahrens in Kauf nimmt.

Bundesweit am meisten profitierte im Jahr 2016 der Verband der Bewährungshilfe in Baden-Württemberg mit insgesamt 1,7 Millionen Euro. Mit 400 000 Euro ist auch der „Deutsche Kinderschutzbund“ vorne dabei, genau wie „Ärzte ohne Grenzen“ mit mehr als 250 000 Euro.

Die wenig transparente Praxis der Zuweisungen bringt zwangsläufig Probleme mit sich. So berichten viele Richter, wie Vereine und Stiftungen versuchen, ihre Entscheidung zu beeinflussen. Einige schreiben jede Woche Bettelbriefe, andere kommen mit Werbegeschenken vorbei. Der Deutsche Richterbund, die bundesweit größte Berufsvereinigung, sieht dennoch keinen Grund zur Kritik an den individuellen Geldvergaben. Jens Gnisa, Vorsitzender des Richterbundes, glaubt nicht, „dass sich die Zuweisungspraxis noch weiter verbessern ließe, indem man die Entscheidungskompetenz auf Stellen außerhalb der Justiz verlagert.“

Eine solche Stelle gibt es deutschlandweit bisher lediglich in Hamburg. Dort wurde die Verteilung der Gerichtsgelder nach einem Skandal bereits in den 1970er-Jahren geändert. In der Regel weisen die Richter die Summen dort seitdem einem allgemeinen Fördergebiet zu. Beispiele: Jugendhilfe, Suchtprävention, Unterstützung von Missbrauchsopfern. Welcher Verein das Geld erhält, entscheidet ein Gremium aus Richtern, Staatsanwälten und den Sozialbehörden. „Das System der Direktzuweisung ist in vielen Facetten anfällig für Missbrauch“, sagt Holger Schatz, Leiter des Justizvollzugsamts in Hamburg.

Und es gibt noch ein Problem. Vom Finanzamt als gemeinnütziger Verein anerkannt zu werden, ist offenbar nicht besonders schwer. Auch der Schweriner Yacht-Club trägt dieses Siegel.

Die Autoren

sind Redakteure des unabhängigen Recherchezentrums „Correctiv“. Sie haben alle verfügbaren Zuwendungen von Gerichten aus den Jahren 2011 bis 2016 auch in einer Datenbank zusammengefasst. Diese ist frei im Internet zugänglich – und zwar unter:

correctiv.org/spendengerichte

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