München – Zwischen Frust und Freude liegt nur eine Armlänge. Landtag, Reihe 3 der CSU-Fraktion, Schulter an Schulter sitzen vier Minister, die soeben ihren Job verlieren. Beate Merk, Emilia Müller, Ulrike Scharf und Ludwig Spaenle haben, vielleicht ein Zufall, nebeneinander Platz gefunden. Man sieht ihnen an, dass es keine leichten Momente sind. Sie zupfen an ihren Schals, tippen auf ihre Handys, sortieren die letzten Akten, die man ihnen vorlegte. Rings herum werden Kollegen aufgerufen, sie springen dann auf und eilen nach vorne. Die vier in Reihe 3 bleiben sitzen. Und sehen zu, wie die neuen Minister aufgeregt, manche verhaspeln sich sogar, den Amtseid ablegen.
So ist das halt in der Politik, Ämter kommen und gehen. In diesem Fall ist der Wechsel aber mit besonderen Emotionen verbunden, denn die CSU erlebt einen Umbruch. Mit einem radikalen Schnitt baut der neue Ministerpräsident Markus Söder das Kabinett um, ein halbes Jahr vor der Wahl. Keiner geht freiwillig, jeder in der Landtagsfraktion hielt sich für ministrabel.
An diesem Mittwochvormittag enden Karrieren und Träume. Aber auch eine Geheim-Operation, die man in der notorisch vertratschten CSU selten erlebte. Ohne dass eine einzige Personalie nach draußen drang, bastelte Söder sich sein Kabinett. Wie ihm das gelang, lässt sich vage rekonstruieren. Einzelgespräche waren es, begonnen am Wochenende, in denen er sich Auf- und Absteiger in den vierten Stock der Staatskanzlei holte. Keinem verriet er alle Pläne, jedem bläute er ein: Wer vorab mit den Medien plaudert, fliegt von der Liste. Nur Fraktionschef Thomas Kreuzer war ganz eingeweiht; auf ihn ist Verlass, weil er Journalisten meist anbellt oder anschweigt, ihnen aber nie Vertrauliches zuraunt.
Über mehrere Tage lief diese Geheimdiplomatie, mancher Neu-Staatssekretär erfuhr erst in der Nacht, dass er am Mittwoch besser mit Krawatte ins Parlament kommen sollte. Im Nachhinein klingt all das recht munter, für Söder war es aber der bisher schwierigste Drahtseilakt seiner Karriere. Viele Faktoren schränken seinen Handlungsspielraum ein – die Verfassung setzt bei 17 Regierungsmitgliedern eine Obergrenze, hinzu kommt der in der CSU heilige Proporz bei Herkunftsort, Alter, Geschlecht und Konfession.
Manche Personalien waren Söder früh klar, zum Beispiel der Wechsel von Marcel Huber ins Umweltministerium. Andere fädelte er am Wochenende ein, etwa per Telefon die externe Berufung der Ärztin Marion Kiechle zur Wissenschaftsministerin. Die letzten brütete er über Tage aus: Ob er es wagt, ins Agrarressort Neuling Michaela Kaniber zu schicken; auch ob Ilse Aigner wirklich das Bauministerium annimmt, erfuhr er erst Dienstagabend. Hinzu kamen die Kündigungsgespräche, vor allem mit dem verdutzten Spaenle, eine unangenehme Erfahrung. Er wolle „eine Mischung aus Erneuerung, Kompetenz und Bewährtem“, sagt Söder mehrfach. Was gut klingt, aber halt nicht jenen sofort einleuchtet, die erneuert werden.
Der Tag selbst folgt dem üblichen Ritual. Die Verfassung schreibt vor, dass der Zuschnitt der Ressorts und alle Kabinettsmitglieder vom Parlament bestätigt werden müssen. Es gibt eine Aussprache dazu. Von einem „Signal“, einer „Philosophie“ spricht Söder.
Die Opposition muss sich auf ihre Replik spontan vorbereiten, vielleicht zu spontan. So schiebt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze aus Versehen Ilse Aigner das Thema Digitales zu, obwohl sie dafür mit Bauen/Verkehr gar nicht zuständig ist. Aigner winkt zwar energisch und schüttelt den Kopf, aber Schulze schimpft dadurch umso lauter. Ansonsten hält sie eine selbstbewusste Rede, immer wieder dreht sie sich dabei zu Söder. Für die SPD attestiert Markus Rinderspacher, dass sich „Söder erkennbar bemüht“, schreibt ihm doch aber nur eine Halbwertszeit von 206 Tagen bis zur Landtagswahl zu. Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nutzt die Gunst, mal wieder seine Straßenausbaubeitragssatzung in einer Rede zu platzieren, der Hohn ist groß. CSU-Fraktionschef Kreuzer kontert genüsslich. „Es war nicht unser Ziel, Ihre Erwartungen zu erfüllen“, sagt er über die Kabinettsliste. „Sonst hätten wir eine schlechte Regierung, jetzt haben wir eine gute.“
Ist es wirklich eine gute? Auf jeden Fall eine überraschende, sagen viele im Landtag. Etwas mehr Frauen regieren nun (ein Drittel), im Schnitt ist das Kabinett fünf Jahre jünger (trotzdem noch 51,5 Jahre alt). Jedenfalls steht das Kabinett genau wie Söder unter strenger Beobachtung, vermutlich wird es schon im Herbst wieder Umstrukturierungen geben, möglicherweise muss die CSU in eine Koalition.
Die Lage ist also ernst. Nun ja, fast – einmal gibt es an diesem denkwürdigen Tag doch etwas zu Lachen. Es passiert im noblen Prinz-Carl-Palais neben der Staatskanzlei, wo Söder unter einem Kronleuchter die Ernennungsurkunden austeilen will. Einzeln werden die Minister aufgerufen. Joachim Herrmann ist der zweite, der nach vorn kommen darf, Urkunde, Händedruck, Fotos. Herrmann ist schon auf dem Rückweg zu seinem Platz, da kommt Unruhe auf. „Hoppala“, sagt Söder. Er hat die falsche Urkunde verteilt, die für Florian Herrmann, den Staatskanzleichef. Ein Versehen, klar, Heiterkeit, es ist schnell wieder behoben. Für die zwei Herrmanns jedenfalls. Es gäbe andere an diesem Tag, die hätten jede Urkunde genommen.