Starnberg – Josef Bierbichler, der am 26. April 70 Jahre alt wird, macht sich gerade ein opulentes Geburtstagsgeschenk: Sein Film „Zwei Herren im Anzug“ startet am Donnerstag – mit einer Handlung, die sich in Bayerns Geschichte seit Beginn des 20. Jahrhunderts hineinbohrt. In Oberbayern (und Thüringen) gedreht. Vor allem von Bayern gespielt. Von einem Bayern in allen Schichtungen verwirklicht. Ein sehr bayerischer Film also? Ja und nein. Wenn es um Bierbichler und sein Schaffen geht, trifft dieses Ja-und-Nein meist zu.
Nie hat sich der außerordentliche Schauspieler Bierbichler den bairischen Klang in der Stimme gänzlich abtrainiert – selbst wenn er in Hamburg den Faust in Christoph Marthalers „Goethes Faust Wurzel 1+2“ spielte oder Regisseur Claus Peymanns Wilhelm Tell an der Wiener Burg oder in Berlin John Gabriel Borkman in der Regie von Thomas Ostermeier war. Trotzdem braucht der Künstler Bierbichler kein Bayern-Getue. Seine Basis hier, die schlicht ein Faktum ist, verbindet er mit Europa, mit der Welt, sogar mit (s)einer Surrealwelt.
Ja und nein, Wut auf Bayern und tiefste Verbundenheit, Werkeln mit den Händen und verzwickte Intellektualität, Hass aufs und Liebe zum Schauspielen, fieses Grantln und innige Fürsorge (etwa als Papa von drei Kindern) – all diese Gegensätze und noch viele mehr möchte der Mann vom Starnberger See zusammendenken und als Einheit leben, verweben, ineinanderfließen lassen. Natürlich mag er den „Starnberger See“ nicht, bevorzugt vielmehr die Bezeichnung „Würmsee“, aber – ja und nein – er hat sich mit beiden arrangiert, mit den Münchnern, den Preißn. Wie mit so manch’ anderem. Der Vulkan Bierbichler brodelt zwar öfters, bricht durchaus mal aus, zerstört aber, zumindest in künstlerischer Hinsicht, nie etwas. Uns, das Publikum, beglückt er.
Der Künstler in dem Mann vom Land, der weiß, was „Bauer“ und „Wirt“ wirklich bedeuten, weiß genauso, dass wahrhaftige Kunst nur aus dem Ja-Nein entspringen kann. Das setzt er seit Jahrzehnten klüger und konsequenter um, als es viele einem Darsteller zugetraut hätten. Wahrscheinlich steckte der Schriftsteller bereits im Schauspielzögling der Otto-Falckenberg-Schule. Der wusste obendrein um seine finanzielle Absicherung, die – Bierbichler ist ein Kapitalismus-Kenner – Freiheit gewährt. Musste er je wegen eines Engagements zu Kreuze kriechen? Und heute, da er auf der Bühne oder im Film einen Einmaligkeits-Ruf hat und jede Produktion adelt, verschenkt er seine Gunst wohldosiert.
Ein wunderbar bequemes Leben wäre das für einen älteren Herren, wenn da nicht dieses Ja-und-Nein wäre. Es hat Josef Bierbichler zu der knochenharten Arbeit des Schreibens getrieben. Sein Erstling „Verfluchtes Fleisch“ war 2001 erschienen. Zehn Jahre später kam der Fast-400-Seiten-Roman „Mittelreich“ heraus. Nicht genug mit dieser Schufterei und der grollend ertragenen PR-Maschinerie, Josef Bierbichler setzte sich auch noch allen Facetten der Filmrealisierung aus.
Und: Für die Kunst nahm er eine anstrengende Verwechslungsgefahr in Kauf. Niemand wird den Wirtssohn aus Ambach (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) verwechseln mit Shakespeares Lear (1999), Achternbuschs Gust – Skandalstück in den Achtzigern am Staatsschauspiel, Kultstück an den Münchner Kammerspielen –, mit Brecht in Jan Schüttes Film „Abschied – Brechts letzter Sommer“ (2000) oder mit FC-Bayern-Präsident Landauer (TV, 2014). Verwechselt werden kann der Künstler jedoch leicht, wenn er über eine Wirtsfamilie am (Starnberger) See schreibt, fürs Kino sogar die Rolle des Vaters Pankraz verkörpert und die Sohnrolle Semi mit seinem Sohn Simon Donatz besetzt. Realität und Fiktion wirbelt Bierbichler beherzt durcheinander – und muss damit leben, dass das Publikum richtige und wahrscheinlich viele falsche Parallelen zieht. Da muss halt der widerständige Bayer, der seine Ruah möcht’, mit dem schlitzohrigen Dichter-Regisseur zurechtkommen, der auf keinen Fall Ruhe geben möchte, dafür alle genüsslich verunsichern will. Das funktioniert prächtig, und gibt Roman und Film einen Aufmerksamkeitsschub.
Dass Josef Bierbichler – für viele noch „der Sepp“ – Schwierigkeiten nicht aus dem Weg geht, hat er in jungen Jahren mit Herbert Achternbusch eingeübt. Der Schriftsteller, Filmemacher und Maler war sein Freund und derjenige der geliebten Schwester Annamirl (1949-2005), war vor allem in Sachen Kunst ein quirliger, querdenkender Anreger. Bierbichler emanzipierte sich von ihm genauso wie von jenen Plattitüdenliebhabern, die den Schauspieler wahlweise als tumben oder bodenständigen Kraftlackl beziehungsweise als so auratischen wie exotischen Bühnenstar abstempeln wollten. Deswegen hat sich der Ambacher oft von seiner Heimat getrennt – um gestärkt zurückzukehren, um das Ja und das Nein besser ausbalancieren zu können.
Im höchsten Maße vermag er das als Schauspieler. Da ist er durch und durch Feingefühl, Feindosierer, würde niemals simplifizieren oder dick auftragen. Er ist ein liebevoller Menschenmaler, freilich ohne Illusionen. Ihm glaubt man jede Charakterfältelung, die er wahr werden lässt – ohne, dass man bemerken könnte, wie er das bewerkstelligt. Natürlich gibt Josef Bierbichler mit seinem Können nicht an. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagte er einmal sachlich: „I such raus, was in mir drin is. Alles andere wär Verrat. Ich bin mein eigenes Material.“ Doch das Geheimnis des Ja und Nein bleibt.