München – Vor der Schrottpresse sind alle gleich. Egal, ob Kleinwagen oder Kombi – sie alle landen irgendwann in einem Gerät, wie es auf dem Gelände der Autoverwertung Schindelar steht: Es ist orange, hat Containergröße und der Schlund, in dem die Autos verschwinden sieht aus wie eine treppenförmige Walze. Danach sehen die Autos aus wie Schlauchboote, denen die Luft ausgegangen ist: platt und unbrauchbar.
Derzeit verarbeiten die Autopressen Deutschlands besonders viele Dieselfahrzeuge zu unbrauchbaren Schlauchbooten. Das liegt am Abgasskandal und seinen Folgeentscheidungen. Seit August vergangenen Jahres zahlen der VW-Konzern und viele andere Autofirmen ihren Kunden eine Prämie, wenn sie ihren alten Diesel (Euro-1 bis 4-Norm) verschrotten lassen und sich dafür einen Neuwagen anschaffen. Allein der Volkswagen-Konzern, zu dem VW, Audi, Skoda und Seat gehören, hat auf diese Weise 150 000 alte Diesel aus dem Verkehr gezogen.
Vorletzte Woche entschied dann das Bundesverwaltungsgericht, dass Fahrverbote für Diesel grundsätzlich möglich sind. Wann, wo und ob es soweit kommt, ist zwar noch nicht sicher, doch die Tage des Diesels scheinen gezählt. Für Autoverschrottungen ein gutes Geschäft, könnte man meinen. Doch fragt man Nicole Schindelar, Geschäftsführerin und Inhaberin der gleichnamigen Autoverwertung, nach ihrer Meinung, dann sieht Begeisterung anders aus.
Das Unternehmen im Münchner Stadtteil Riem hat, seit dem Start der VW-Prämienaktion vor sieben Monaten, 2300 Autos verschrottet. Normalerweise sind es 3000 – in einem Jahr. „Mein Lager ist voll“, sagt Schindelar, 30. Das sei zum einen gut. Schließlich verdient das Unternehmen Geld damit, die noch brauchbaren Teile aus den Schrottautos zu verkaufen. Doch wenn so viele Teile auf dem Markt sind wie jetzt, drückt das die Preise. Außerdem steigen die Kosten. Schindelar muss zusätzliche Flächen für die Lagerung mieten. Die Mitarbeiter müssen Überstunden machen, um mit dem Ausschlachten der Autos hinterherzukommen. Manchmal komme es vor, dass ein Auto noch mit brauchbaren Teilen in die Presse geht, sagt Schindelar. Es sei einfach kein Platz mehr dafür.
Ob am Ende dieser Prämienaktion für sie ein Gewinn steht, da ist die Chefin skeptisch. Sie fordert mehr Unterstützung: Vom angrenzenden Landkreis München, der ihr Flächen für die Zwischenlagerung vermieten könnte. Von der Politik: „Wie wäre es mit einem staatlichen Zuschuss?“ Und von der Autoindustrie: Die hätten uns früher über ihre Prämienaktion informieren müssen, damit wir uns vorbereiten können, sagt sie.
Jetzt stapeln sich auf ihrem Gelände die Autos und was von ihren übrig geblieben ist. Die meisten von ihnen seien Dieselfahrzeuge – und von VW, sagt Schindelar. 50 Prozent der Diesel hätten die Euro Norm 4, die restlichen noch eine geringere. Einigen Autos auf ihrem Gelände kann man ansehen, dass sie hierhingehören: Unfallwagen, die wirken, als hätten sie schon mal Bekanntschaft mit der Autopresse gemacht. Dann gibt es aber auch die, die aussehen, als könnte man sich gleich hineinsetzen und losfahren – und das stimmt oft auch.
Viele der Autos, die jetzt kämen, könnte man bestimmt noch zehn bis fünfzehn Jahre fahren, sagt Schindelar. Aber sollten sie das auch? Fragt man die 30-Jährige nach ihrer Meinung zum Abgasskandal, wird sie wütend. Das Verhalten der Autokonzerne sei absolut unverschämt. „Die sind schlimmer als die Waffenlobby in den USA.“ Aber man dürfe auch die Käufer nicht im Stich lassen. Schindelar hat zwar privat keinen Diesel, doch ihre Firma schon, vor allem die Transporter. „Dürfen die dann bei einem Fahrverbot nicht mehr in die Stadt?“
Nicole Schindelar hat vor vier Jahren den Betrieb übernommen, eher unfreiwillig. Sie ist eigentlich Kommunikationsdesignerin mit eigenen Agentur. Doch als ihr Vater starb, rückte sie an seine Stelle. Das war anfangs schwierig, doch mittlerweile ist sie in den Beruf reingewachsen. „Ich kann mir ein Leben ohne nicht mehr vorstellen.“ Gegründet wurde das Unternehmen 1960 von ihrem Opa. 1996 übernahm der Vater. Damals, sagt sie, seien die Autos besser gewesen, zumindest, was das Design und die Reparatur betrifft. „Es gab mehr Individualität bei den Modellen.“ Das meiste in den Autos funktionierte noch mechanisch – man denke an den Fensterheber zum Kurbeln. Das sei viel einfacher zu reparieren gewesen.
Heute sind Autos vollgepackt mit Technik – und es wird immer mehr. Auch die Software-Updates, die die Autokonzerne für Besitzer älterer Diesel anbieten, damit sie weniger schädliche Abgase ausstoßen, benötigen kaum noch jemanden, der lange etwas aufschraubt und auswechselt. Eine komplette Umrüstung? Viel zu teuer und zu aufwendig, sagen die Konzerne, die vor allem Neuwagen verkaufen wollen. Die Abwracker dagegen profitieren davon, dass die Leute ihre alten Autos reparieren. Wenn das, was sie aus den Schrottautos rausbauen, einen Platz in einem anderen findet.
Bei Schindelar gibt es einen Selbstausbauplatz, für Fahrer, die ihre alten Autos auseinanderlegen und die Teile neu verbauen wollen. Was man bei einem Fahrzeug noch verwenden könne und was nicht, sei von Modell zu Modell vollkommen unterschiedlich, sagt Schindelar. Der Ablauf der Verschrottung sei aber immer gleich: Zunächst wird der Wagen abgeholt oder vom Kunden gebracht. Außerhalb der Zeiten von Abwrackprämien war der Grund dafür meistens, dass sich eine Reparatur nicht mehr lohnte. Weil das Fahrzeug zu alt war oder der Schaden zu groß. Dann wird das Auto registriert und „trockengelegt“. Das heißt sämtliche Flüssigkeiten wie Öle, Kühlwasser, Benzin oder Diesel werden entfernt und entsorgt.
In der „Ausschlachthalle“, wie die Werkstatt zum Ausbau genannt wird, stapeln sich die Motoren. Hauptsächlich Dieselmotoren, die alle auf dem Müll landen. Die noch brauchbaren Modelle stecken im Lager wie Haustiere in Käfigen und warten auf neue Besitzer. Darüber hinaus reihen und stapeln sich Türen, Motorhauben, Reifen und alles, was sonst noch in Autos verbaut wird aneinander.
Ein Mitarbeiter mit Brille, grauen Haaren und ölverschmierten Handschuhen entfernt gerade den Motor aus einem blauen VW-Diesel. „Wegen dieser Umweltprämie“, sagt er. Mehr als zehn Jahre sei der nicht alt. Das ausgerechnet der VW-Konzern seine Aktion „Umweltprämie“ nennt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Wenn die Autos die Ausschlachthalle hinter sich gelassen haben, kommt nur noch die Presse. Bis dahin dauert es ungefähr einen halben Arbeitstag. Dann folgt der Transport zum Einschmelzen. Für viele, die ihr Auto zur Firma Schindelar bringen, ist es ein emotionaler Moment, erzählt Nicole Schindelar. Vor allem dann, wenn Fahrzeug und Halter eine lange Geschichte teilen. Wenn die Autos „ausgefahren“ sind, wie Schindelar es nennt. Dann werden Fotos gemacht, Geschichten erzählt und es fließen auch schon mal ein paar Tränen.
Das ist jetzt ganz anders. Die Leute, die im Moment ihre Diesel zum Verschrotten bringen, zeigten vor allem Verständnislosigkeit. Schindelar sagt: „Die wollten ihre Autos eigentlich noch fahren.“