Protestbewegung gewinnt Wahl

Italiens Zukunft steht in den Sternen

von Redaktion

Von Ingo-Michael Feth

Rom – Es lag etwas in der Luft am Wahlsonntag. Die langen Schlangen vor den Wahllokalen, viele Junge, die deutlich höhere Wahlbeteiligung. Von Resignation keine Spur. Wer mit den geduldig wartenden Menschen sprach, gewann den Eindruck: Da ist Bewegung im Spiel. Eine junge Frau bringt es auf Nachfrage so auf den Punkt: „Was ich wähle? Den Wandel.“

Als dann am späten Abend die ersten Ergebnisse der Nachwahlbefragungen eintrudelten, fiel den Vertretern des politischen Establishments in den TV-Studios die Kinnlade herunter. Eine gelbe Welle – die Farbe der Fünf-Sterne-Bewegung – rauschte über das Land hinweg. Die erst 2009 gegründete Partei lag deutlich über den Prognosen und ist mit Abstand stärkste Kraft.

Darüber konnte auch die lange blaue Säule des Rechtsbündnisses nicht hinwegtäuschen: Mit dem Absturz von Forza Italia und dem Aufstieg der Lega zur stärksten politische Kraft auf der Rechten beginnt eine neue Zeitrechnung in Italien. Auch wenn die genaue Sitzverteilung – und damit die Frage, welche Konstellationen möglich wären – wegen des komplizierten Wahlrechts noch auf sich warten lässt; in einem Punkt sind sich alle Beobachter einig: Die Wutwähler haben die seit rund 25 Jahren bestehenden politischen Strukturen, in denen sich rechts und links abwechselten, hinweggefegt.

„Ohne und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden. Sie werden alle mit uns reden müssen“, verkündete ein gut gelaunter Alessandro di Battista, einer der führenden Köpfe der Fünf-Sterne-Bewegung. Damit dürfte er den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Es ist rechnerisch fast unvorstellbar, wie sich in den beiden Parlamentskammern eine Mehrheit gegen die Grillini (abgeleitet von Beppe Grillo, dem Gründer der Fünf Sterne) zusammenzimmern ließe. Da müssten sich schon Parteien einigen, deren politische Positionen bislang völlig unvereinbar sind. Die Einsicht, dass man ab jetzt mit den Populisten zumindest sprechen sollte, schien bereits in der Wahlnacht bei einigen Politikern zu reifen. Vor allem aus dem Partito Democratico (PD) von Matteo Renzi, dem großen Wahlverlierer, dringen Stimmen, eine Zusammenarbeit mit den „5 Sternen“ auszuloten. Renzi gab gestern seinen Rücktritt als Parteichef bekannt. Seine Partei habe eine „klare Niederlage“ erlitten, sagte er. Sein Rücktritt sei „selbstverständlich“. Er will aber warten, bis eine neue Regierung gefunden ist.

Überhaupt, die Sozialdemokraten: Der gnadenlose Absturz der Partei, die bei den Europawahlen vor knapp vier Jahren noch über 40 Prozent der Stimmen geholt hatte, unter die 20-Prozent-Marke, ist tragisch. Quittung der Wähler für eine Selbstdemontage der Partei auf offener Bühne, die mit jenem verlorenen Verfassungsreferendum im Dezember 2016 begann, das in den Rücktritt Renzis als Premier und den Wechsel zu Paolo Gentiloni mündete.

Seitdem zerfleischten sich die wichtigsten Protagonisten gegenseitig: Auf der einen Seite der eher christdemokratisch und liberal geprägte Flügel um Renzi, der für eine radikale Reformpolitik stand, auf der andern die Parteilinke, die auf die alten Rezepte der Umverteilung setzte. Im Herbst spaltete sich die Partei. Das dadurch beim Wähler verspielte Vertrauen war nicht mehr gutzumachen. Ironie der Geschichte: Die Reformen der Renzi-Jahre haben ihre Wirkung, trotz manch bitterer Pille, nicht verfehlt; Italien verzeichnet das höchste Wirtschaftswachstum seit acht Jahren, das öffentliche Defizit ist gesunken, hunderttausende neue Arbeitsplätze entstanden.

Die positiven Nachrichten kamen wohl zu spät. Besonders im Mezzogiorno ist der Aufschwung bislang nicht angekommen, der Stiefel ist faktisch zweigeteilt: Der boomende Norden und der abgehängte Süden, geprägt von einer Jugendarbeitslosigkeit von weit über vierzig Prozent. Der ideale Nährboden für eine Protestbewegung wie die „5 Sterne“. Und so ist nach diesen Wahlen von Rom abwärts fast alles in tiefes Gelb gefärbt und Italien auch geografisch in zwei politische Hälften gespalten. Für den Zusammenhalt des Landes keine gute Nachricht.

In den industriell geprägten Regionen des Nordens hingegen sahnte die fremdenfeindliche Lega unter ihrem Chef Matteo Salvini (siehe unten) ab und deklassierte Berlusconis Forza Italia, die das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Schon beansprucht Salvini, strotzend vor Selbstbewusstsein, das Amt des Premiers für sich. „Wir sind jetzt die Führer der Rechten“, tönt er. Und: „Über Italien entscheiden die Italiener, nicht Brüssel, nicht Berlin.“

Vom sonst dauerpräsenten Silvio Berlusconi war gestern nichts zu hören. Für ihn ist es eine Niederlage: Die Wähler zeigten ihm deutlich, dass seine Zeit abgelaufen ist. Wie geht es nun weiter? Die Lage ist verfahren, nichts erscheint mehr undenkbar. Selbst die Horrorvorstellung Europas, ein Regierungsbündnis zwischen Lega und der 5-Sterne-Bewegung, ist nicht mehr auszuschließen. Inhaltliche Schnittmengen gäbe es durchaus: die Euro-Skepsis, das Ende der Sparpolitik, strikte Begrenzung der Migration etwa.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich eine ausreichend große Gruppe aus dem implodierenden PD zur Unterstützung einer 5-Sterne-Regierung bereitfinden könnte; besonders nach dem Abgang Renzis. „Das ist ein historischer Tag. Heute beginnt in Italien die Dritte Republik, die Republik der Bürger“, erklärte schon mal der siegreiche Spitzenkandidat des Movimento, der erst 31-jährige Luigi Di Maio (siehe Porträt unten).

Auf Staatspräsident Sergio Mattarella kommt nun die schwierigste Aufgabe seiner langen Laufbahn zu: Laut Verfassung steht es allein ihm zu, einen Kandidaten mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Bis eine neue Regierung steht, könnte es ähnlich lange dauern wie in Berlin. Und hinter vorgehaltener Hand wird auf den Fluren schon wieder von Neuwahlen gemurmelt.

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