Garmisch-Partenkirchen – Gerammelt voll ist es bei strahlendem Sonnenschein auf den Pisten über Garmisch-Partenkirchen. Massen von Wintersportlern zwischen Kreuzeck und Hausberg, das bedeutet potenziell Arbeit für die Bergwacht. Man möchte meinen, dass das der Grund dafür ist, dass Thomas Müller in diesen Tagen ein gefragter Mann ist. Müller, 49, den im Werdenfelser Land jeder Mulei nennt, ist Vize der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen. Weil Bereitschaftsleiter Andreas Dahlmeier gerade in Südkorea ist, kümmert sich Mulei um die rund 120 Kameraden starke Bereitschaft samt Skiwacht. Was ihn allerdings wirklich auf Trab hält, sind die vielen Fragen zum berühmtesten aktiven Mitglied der Gruppe. Das heißt Laura, ist 24, Tochter des Bereitschaftsleiters, Weltmeisterin, Olympiasiegerin und seit etwa fünf Jahren dabei. „Bei uns“, sagt Mulei, „ist sie nicht Laura Dahlmeier, die Olympiasiegerin. Bei uns ist sie die Laura. Die gehört zum Haufen dazu.“
Manchmal, wenn sie ihn nach Laura Dahlmeier fragen, sagt er, dass sie zwar eine Top-Alpinistin und gute Skifahrerin sei, man am Anfang allerdings Bedenken wegen ihrer Kondition gehabt habe – eine Frotzelei, freilich, weil sie Dahlmeier am Berg kaum hinterherkommen. Sie sei ein Mensch mit eisernem Willen, unbandiger Energie und ohne Allüren. Und so gibt sich die Biathletin auch, sagt Mulei, „wie ein ganz normales Madl“.
Allerdings macht sich der Bekanntheitsgrad der Retterin doch gelegentlich bemerkbar. „Letztes Jahr“, erzählt Mulei, „ist sie einen Einsatz am Jubiläumsgrat geflogen, da hat die Besatzung dann schon ein bisserl gestaunt und gesagt: ,Das war doch die Laura!‘“ Ähnlich geht es übrigens auch manchmal denen, die Dahlmeier rettet oder versorgt. Auf den ersten Blick, mit Helm und Brille und dick eingepackt, erkennt man sie nicht gleich. Wenn sie dann die Brille abnimmt, überstrahlt die Überraschung schon einmal die eine oder andere kleinere Blessur.
Wann immer es Dahlmeiers vom Biathlon eng getakteter Zeitplan erlaubt, ist sie im Einsatz am Berg. „Dass sie sich so bei uns einbringt, das verdient Respekt“, sagt Mulei. Über Sport wird dann kaum geredet. Fans ihrer „eigenen Goldmedaillengewinnerin“ sind sie bei der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen natürlich trotzdem alle. Und freilich fiebern sie jetzt oben am Winterstützpunkt am Kreuzeck mit, wenn sie zwischen ihren Einsätzen in der warmen Hütte am Bildschirm die Rennen verfolgen. Dann sitzen sie beisammen, in der vor knapp zwei Jahren neu gebauten Hütte, an deren Wänden auf Leinwand gedruckte Bergaufnahmen hängen und wo man draußen auf der Bank und mit Blick auf Alp- und Zugspitze in der Sonne sitzen kann.
Die Berge und die Bergwacht gehören zum Leben von Laura Dahlmeier dazu. „Hier erholt sie sich und tankt Kraft, da hat sie ihre Ruhe“, sagt Christina Dahlmeier-Weigelt. „Während andere in ihrer Freizeit oder im Urlaub nichts vom Sport wissen wollen, packt Laura ihren Rucksack und macht die nächste Tour.“
Die 40-Jährige ist Lauras Tante und Vorsitzende des Laura-Dahlmeier-Fanclubs in Personalunion. „Den Club haben wir als Geschenk für Laura gegründet. Am Anfang waren vor allem enge Freunde dabei“, sagt sie.
Inzwischen hat der Fanclub 250 Mitglieder aus ganz Deutschland. Zusammen mit der Bergwacht und dem SC Partenkirchen planen sie Aktionen für die Olympiasiegerin und die Fans. Einmal holten sie Laura im extra dekorierten Bergwacht-Bus vom Flughafen ab. Dann organisierten sie den offiziellen Empfang, bei dem Dahlmeier nach ihrer Rückkehr von der Weltmeisterschaft vom Richard-Strauss-Institut spektakulär abgeseilt wurde. Auch das nächste olympische Public Viewing in Garmisch-Partenkirchen werden sie auf die Beine stellen, zur Damen-Staffel am 22. Februar.
Sie sind zwar Dahlmeiers Team in der Heimat, den Kontakt verkneifen sich aber momentan sowohl die Bergwachtler als auch der Fanclub. Sie soll sich auf den Wettbewerb konzentrieren können, da lasse man sie jetzt bewusst in Ruhe. „Laura weiß, dass die Bergwacht da ist, wenn sie sie braucht“, sagt Mulei. Das bedeutet auch, dass man sich geduldig viele Fragen über die private Laura Dahlmeier stellen lässt. „Wir ziehen aber dann schon Grenzen“, sagt Christina Dahlmeier-Weigelt.
Das Interesse an der 24-Jährigen ist nicht erst seit Olympia groß. „Sie mag den Rummel um ihre Person nicht“, sagt Dahlmeier-Weigelt. „Aber sie weiß natürlich, dass das dazugehört, wenn man Profi-Sportler ist.“ Und den Fans zeige sie sich eh gern. Trotzdem: Wenn die offiziellen Termine vorbei sind, geht Dahlmeier am liebsten zum Klettern. Darum ziert die offiziellen Laura-Dahlmeier-Jacken nicht einfach nur ihr Name. Der ist aus einem echten Kletterseil geformt. Ihren eisernen Willen zeigt Dahlmeier am liebsten am Berg, „da geht sie über ihre Grenzen hinaus“.
Um den Beweis für diesen Willen zu finden, hat Robert Wagner einige Stunden auf dem Speicher verbracht und Kisten durchwühlt. Erleichtert fand der Münchner schließlich, was er suchte: das Freundschaftsbuch seiner Tochter Isabel. Wagner, der mit der Familie befreundet und heute im Vorstand des Fanclubs ist, brachte es mit zum letzten Public Viewing nach Garmisch-Partenkirchen. Darin hat sich Laura als Viertklässlerin verewigt. Und geschrieben, was sie einmal werden will: Olympiasiegerin.
Ihren Wunsch hat sie sich erfüllt. Drei Medaillen hat sie schon geholt, drei könnten es noch werden, wenn Dahlmeier bei allen Wettbewerben an den Start geht: beim Massenstart (morgen, 12.15 Uhr), in der Mixed-Staffel (Dienstag, 20. Februar, 12.15 Uhr) und in der Damen-Staffel (Donnerstag, 22. Februar, 12.15 Uhr).
Unabhängig davon, wie viel Edelmetall Laura Dahlmeier am Ende aus der Kälte Südkoreas mitbringt: Das „Team Dahlmeier“ platzt jetzt schon vor Stolz und wird ihr einen warmen Empfang bereiten. „Sie würde sich vermutlich am meisten über eine kleine Feier mit ihren Freunden auf einer Hütte freuen“, meint ihre Tante. Etwas Großes könne es eh erst nach der Weltcup-Saison geben. Die Hauptsache für Laura Dahlmeier ist aber sowieso, dass sie daheim einfach wieder „die Laura“ sein kann.