Der Sisyphos von Macapá

von Redaktion

Bäume so weit das Auge reicht: Ein aus Deutschland stammender Förster ist in Brasilien Herr über eines der größten Regenwald-Schutzgebiete der Welt

Macapá – Was bleibt Christoph Jaster anderes übrig, als zu „priorisieren“. Er ist zuständig für ein Gebiet, das knapp 40000 Quadratkilometer groß ist – fast so groß wie die Niederlande. In Zeiten, in denen die Waldrodung und die Zahl illegaler Goldminen in den Weiten des brasilianischen Regenwaldes rasant zunehmen, wird die Aufgabe, ein Schutzgebiet wie den Tumucumaque zu schützen, immer mehr zur Sisyphos-Aufgabe.

Geboren ist Jaster in Cochem an der Mosel, die Familie verschlug es wegen eines Entwicklungshilfe-Jobs des Vaters nach Brasilien. In Curitiba studierte Jaster Forstwirtschaft. Er erwarb die brasilianische Staatsbürgerschaft, bestand die Aufnahmeprüfung bei der Umweltbehörde Ibama und kam 2003 hier in das nordbrasilianische Macapá, wo er im Auftrag des Umweltministeriums für den Schutz des Amazonas-Nationalparks Tumucumaque zuständig ist.

Das war zunächst nicht seine erste Wahl – hier liegt der Hund begraben. Aber Jasters Revier ist einzigartig und eines der größten Regenwaldschutzgebiete der Welt. Mittendrin – nach mehreren Tagen Reise – kann man ein altes Kreuz finden, mit Hakenkreuz und Inschrift: „Joseph Greiner starb hier am 2.1.36 den Fiebertod in Dienste deutscher Forschungsarbeit.“

Der Biologe Otto Schulz-Kampfhenkel hatte entlang des Jary-Flusses im Auftrag des Deutschen Reichs zwischen 1935 und 1937 eine geheimnisumwitterte Expedition geleitet und ein Buch darüber verfasst („Rätsel der Urwaldhölle“). Angeblich sollte im Urwald nach Möglichkeiten für eine Nazi-Invasion im unbewohnten Amazonasgebiet, eine Art Brückenkopf, gesucht werden.

„Die geografischen Angaben der Expedition sind sehr exakt und interessant“, sagt Jaster, 53. In seinem Büro breitet er eine große Karte aus, ein Geflecht aus vielen Flüssen und nur wenigen Straßen ist zu sehen. Der Tumucumaque erstreckt sich entlang der Grenze Brasiliens mit Französisch-Guayana und der früheren niederländischen Kolonie Suriname, 360 Kilometer breit und 320 Kilometer lang.

„Wir sind total unterbesetzt“, sagt Jaster. Eigentlich sind sie nur zu zweit. Eigentlich sind Jagen, Fischen und Abholzen verboten. Aber das Gebiet ist immer schwerer zu kontrollieren. Weltweit steht die Regierung von Präsident Michel Temer in der Kritik, weil sie Schutzgebiete aufweicht und Wirtschaftsinteressen Vorrang gibt. Zuletzt kam es wiederholt auch zu Massakern an Ureinwohnern im Amazonasgebiet.

Expeditionen in das Gebiet dauern gern mal mehrere Wochen. Derzeit steht ein Bio-Monitoring mit 15 Helfern an, um zu untersuchen, wie sich die Zahl der Säugetiere, Schmetterlinge und von Einheimischen gejagten Vögeln entwickelt hat. Immer wieder müssen die Boote wegen Stromschnellen und Niedrigwasser getragen werden. In den Weiten des Amazonas entscheidet sich auch mit, ob die Umsetzung des Klimaabkommens von Paris gelingt. Mit seiner Funktion als Kohlenstoffspeicher ist der Regenwald ein großer Mosaikstein im globalen Klimageschehen.

Doch vielerorts schreitet die Abholzung voran – auch, um den Fleischhunger anderer Länder zu stillen. In großem Stil weichen Waldflächen Soja-Anbauflächen für Tierfutter. Der Unkrautvernichter Glyphosat wird fast nirgendwo so intensiv eingesetzt wie in Brasilien. Rund um die Sojafelder sind kaum noch Vögel oder Insekten zu sehen.

Im Bundesstaat Amapá, wo Urwaldförster Jaster tätig ist, ist das Problem noch nicht so akut, da die Gegend für den Abtransport edler Hölzer und den Sojaanbau zu abgelegen ist. Zudem gibt es keine großen Häfen in der Nähe. „Aber es ist im Kommen“, sagt er.

Noch sind 90 Prozent der Fläche mit Wald bedeckt – der höchste Anteil in ganz Brasilien. Aber auch im Tumucumaque nehmen illegale Tätigkeiten zu. Goldminen werden errichtet. Das bei der Förderung eingesetzte Quecksilber vergiftet die Flüsse. Jaster zeigt auf der Karte Lourenço am Rande des Nationalparks, es gilt als das älteste Goldgräberdorf Amazoniens. „Das ist quasi eine Mondlandschaft.“ Dort, wo es illegale Siedlungen gibt, kann man vorbeischauen, aber ändern tut sich nichts. Es fehlt an Strafverfolgungsdruck.

Eine Aufgabe von Jaster ist auch, Besuchergruppen zu begleiten. Es ist ein einmaliges Erlebnis in fast noch unberührter Natur. Nur 1000 bis 2000 Leute leben in dem Gebiet. Wo sonst viele den Tourismus kritisch sehen, hätte Jaster gern mehr davon. Die kleinen Flussgemeinden könnten profitieren – und würden dank der Einnahmen womöglich zu Umweltschützern.

Wenn es gut läuft, ist der Forstwirtschaftler von einem Monat eine Woche im Wald statt im Büro in Macapá. Trotz Widrigkeiten, Sparzwängen und Rückschlägen sagt er darum: „Eigentlich ist es ein Traumjob.“ Georg Ismar

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