-Herr Nagel, befürchten Sie Ausschreitungen am Wahltag?
Nein, das eher nicht. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung war ja bisher außergewöhnlich friedlich. Und das dürfte auch so bleiben. Aber klar: Das Klima ist angespannt, seit die katalanische Autonomie durch die spanische Zentralregierung außer Kraft gesetzt ist.
-Also droht keine Untergrund-Bewegung im Stile einer „katalanischen ETA“?
Das sehe ich im Moment überhaupt nicht. Eine bewaffnete Bewegung für die Unabhängigkeit hat hier in Katalonien nahezu keine Tradition. Ironisch zugespitzt: Der mangelnde militärische Geist der Katalanen wird durch einen verstärkten Einsatz von Pyrotechnik bei ihren Volksfesten kompensiert.
-Womit rechnen Sie stattdessen?
Mit einer Radikalisierung der Ansichten. Besonders, weil sich die Befürworter der Unabhängigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft unterdrückt fühlen. Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt einige Gefangene. Prozesse gegen Beamte und Wahlhelfer beim Referendum werden folgen. Da könnten wir schnell bei 1000 oder mehr sein.
-Hat sich Ex-Regierungschef Carles Puigdemont verrannt?
Verrannt ist mir zu stark. Man überschätzt da vielleicht auch die Bedeutung einer einzelnen Person. Zur Erinnerung: Puigdemont und seine Partei sind zum Jagen getragen worden – durch eine über die Jahre immer stärker gewordene Volksbewegung. Ursprünglich wollte Puigdemonts Partei die Unabhängigkeit gar nicht.
-Viel ist zu lesen von einer „schweigenden Mehrheit“ der Katalanen, die gegen die Unabhängigkeit sei. Teilen Sie das?
Nein, schweigend auf keinen Fall. Und Mehrheit? Bei der vergangenen Regionalwahl 2015 haben diejenigen Parteien eine Mehrheit erzielt, die eine Unabhängigkeit befürworten. Und da hatten wir eine Rekord-Wahlbeteiligung von 78 Prozent. Jetzt rechne ich mit einer noch höheren Quote.
-Anders war das beim umstrittenen Referendum am 1. Oktober. Da lag die Wahlbeteiligung bei nur 42 Prozent.
Damals sind sicher auch Leute daheim geblieben, die das Verbot des Referendums durch die spanische Justiz ernst genommen haben. Zudem war rasch klar, dass Prügel durch die spanische Polizei drohen.
-Wird es ein neues, faires Referendum geben?
Ich glaube nicht. Die spanische Front gegen eine solche Abstimmung steht felsenfest hinter Ministerpräsident Mariano Rajoy.
-Klingt alles nicht nach einer raschen Befriedung. Könnte man nicht lernen von den weitgehend gelösten Konflikten in Nordirland oder Südtirol?
Das sind andere Fälle. Da ging es um nationale Minderheiten, die gerne zu einem anderen Staat gehören wollten. Bei Katalonien geht es dagegen darum, dass viele Menschen einen eigenen Staat bauen wollen. Der Vergleichsfall wäre also eher Schottland – nur dass dort die Zentralregierung in London ein Referendum zugelassen hat. Damit war der Konflikt befriedet. Für wie lange, weiß man natürlich nie.
-Zwei Tage nach der Wahl steigt in Spanien der Fußball-Klassiker Real Madrid gegen FC Barcelona. Kann von diesem Spiel ein Zeichen ausgehen?
Das ist ja eine alte Rivalität, weit über die nationale Frage hinaus. Interessanterweise holen die Real-Fans bei diesen Spielen gerne die spanischen Fahnen heraus. Das tun sie sonst quasi nie.
-Duelle wie dieses zementieren also eher die bestehenden Lager?
Ja. Das große Friedenssignal erwarte ich jedenfalls nicht.
Interview: Maximilian Heim