Zwischen Ministerpräsident Horst Seehofer und Teilen der CSU-Fraktion knirscht es gewaltig – manche wünschen sich seinen Rückzug. Den per Misstrauensvotum herbeizuführen, ist in Bayern aber fast unmöglich, erklärt Andreas Geipel, 51. Der Münchner ist Fachanwalt für Verfassungsrecht.
Könnte Horst Seehofer durch Artikel 44 zum Rücktritt gezwungen werden?
Artikel 44 Absatz 3 greift, wenn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Landtag und Ministerpräsident nicht mehr möglich ist. Ob dem so ist, muss Seehofer selbst beurteilen.
Freiwillig wird Seehofer wohl kaum gehen.
Er muss nach der Verfassung von sich aus zurücktreten, wenn er selbst davon ausgeht, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Landtag nicht mehr möglich ist. Tritt er nicht zurück, kann seine Einschätzung vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof nach Artikel 59 überprüft werden.
Wie wäre dieser Weg?
Eine Fraktion oder mindestens 20 Mitglieder des Landtags könnten eine Abstimmung darüber beantragen, ob eine vertrauensvolle Zusammenarbeit noch möglich ist. Gibt es für die Abstimmung eine Mehrheit, wäre das für das Gericht ein wirkliches Indiz auf eine gestörte Zusammenarbeit.
Was Seehofer in die Bredouille bringen würde.
Er wäre unter Zugzwang. Je mehr Mitglieder oder Fraktionen das beantragen, desto stärker wiegt das bei einer späteren Beurteilung vor Gericht. Aber bindend ist das für Seehofer überhaupt nicht – und es ist wahnsinnig unwahrscheinlich.
Trotz des Unmuts?
Ja. Der Spielraum ist da einfach sehr weit. Er kann nur theoretisch belangt werden, praktisch nicht. Das sind schwammige Kriterien. Seehofer könnte sagen: Der Grund des Misstrauens sei die Arbeit der Bundesregierung, ich mache aber Landespolitik. Eine Ministerpräsidentenanklage hat es in dem Zusammenhang auch noch nie gegeben. Der einzige Fall mit Artikel 44 ist Wilhelm Hoegner.
Was hatte es damit auf sich?
Damals, 1957, gingen Ministerpräsident Hoegner von der SPD die Koalitionspartner abhanden. Er leitete eine Vierer-Koalition, aus der die Bayernpartei und der Bund der Heimatvertriebenen austraten. Dann hat er sich nach Artikel 44 selbst zum Rücktritt entschlossen. Der Fall ist mit dem jetzigen nicht ganz vergleichbar.
Interview: Sebastian Raviol