München – Die Teilnehmer der kleinen Verschwörung bemühten sich um allergrößte Diskretion. Man traf sich abgeschirmt in der Staatskanzlei, die schweren Limousinen wurden durch die Tiefgarage gelotst. Oben im vierten Stock vereinbarten die Parteifreunde sogar, unauffällig durch getrennte Ausgänge und zeitversetzt die Regierungszentrale wieder zu verlassen, um ja keinen Verdacht zu erregen. Sollte man sich am gleichen Tag vor Kameras nochmals begegnen, wolle man sich begrüßen, als wäre es das erste Treffen.
Die Heimlichtuerei hatte einen guten Grund. In der Staatskanzlei versammelte sich am Montagmittag rund um Horst Seehofer der harte Kern der Markus-Söder-Gegner. Jene erste Reihe der Partei, die seit Jahren mit dem ehrgeizigen Franken hadert, suchte nach einer Lösung, dessen Aufstieg in letzter Minute noch zu verhindern. Wer sie gesehen hätte, hätte die Intention sofort geahnt: Innenminister Joachim Herrmann war dabei, Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, der hohe Europapolitiker Manfred Weber, und aus Berlin kam Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Auch wenn keiner von ihnen von einem Treffen oder einer Besprechung etwas wissen will und einige explizit dementieren, deuten alle Zeichen darauf hin, dass die Fünf die tiefe Skepsis eint, Söder das Land anzuvertrauen. Gleichzeitig haben sie keine rechte Ahnung, wie das noch zu verhindern ist. Bei dem Treffen sollen die CSU-Granden vereinbart haben, einen aus ihrer Mitte ins Rennen gegen Söder zu schicken. Innenminister Herrmann wurde gebeten, darüber nachzudenken, sich als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2018 bereitzuhalten – in einer Kampfkandidatur auf dem Parteitag gegen seinen fränkischen Kollegen Söder.
Die kleine Verschwörung in der Staatskanzlei setzt den Rahmen für das, was die CSU in den nächsten 16 Tagen in Atem halten dürfte. In den gut zwei Wochen bis zum Parteitag am 15./16. Dezember in Nürnberg soll sich entscheiden, wer Bayerns neuer Ministerpräsident werden soll. Ein Kandidat gilt als gesetzt: Der ehrgeizige Finanzminister Söder hat zuletzt zwar nicht offen, laut und ohne Hintertürchen angekündigt, bayerischer Regierungschef werden zu wollen, ließ aber auch nie Zweifel an seinem großen Lebenstraum zu. Unter den CSU-Landtagsabgeordneten, die den Ministerpräsidenten zu wählen haben, scheint ihm eine Mehrheit sicher. Mit Fleiß, freundlichen Worten und mit Förderbescheiden sorgte er in allen Regionen Bayerns für Gefolgschaft. Dass nun Herrmann der zweite Bewerber werden soll, bestätigt keiner. Der Innenminister selbst widerspricht aber nicht, sagt dagegen am Mittwoch in jedes Mikrofon, das ihm hingehalten wird: „Ich warte ab, bis sich Horst Seehofer erklärt.“ Ein Dementi klingt anders.
So ist es auch am Mittwochmorgen. Die mittelfränkischen Abgeordneten treffen sich vor Fraktionssitzung und Plenartag zum Arbeitsfrühstück. Später wabert das Gerücht über die Flure des Landtags, es habe einen offenen Streit zwischen Söder (Nürnberg) und Herrmann (Erlangen) gegeben. Das zeigt die Nervosität in einer Partei, in der derzeit offenbar jeder jedem jede Sauerei zutraut. Tatsächlich, so berichten es mehrere Teilnehmer, hätten die beiden Kabinetts-Schwergewichte einträchtig nebeneinander gesessen und kein kritisches Wort übereinander verloren. Allerdings: Auch in diesem kleinen Kreis wiederholt der Innenminister nur wieder seinen Satz: „Ich warte ab, bis sich Horst Seehofer erklärt.“
Nicht alle in der Mittelfrankenrunde sind von dieser Sprachregelung begeistert. Aber Joachim Herrmann hat Übung im vielsagenden Schweigen. Monatelang saß er Fragen zu einer Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl mit verschmitztem Lächeln aus – am Ende griff er zu. Nun schweigt er wieder lautstark bei der Frage nach dem Ministerpräsidenten – mit gleichem Ergebnis? Söder-Freunde orakeln, Herrmann sei doch viel zu harmoniebedürftig, werde niemals eine Kampfkandidatur gegen den in der Fraktion bestens vernetzten Finanzminister wagen. Neutralere warnen, dass beide durch einen Showdown beschädigt würden.
Horst Seehofer ist nicht in den Landtag gekommen, obwohl er am Mittwoch keine Termine in Berlin hat. Vermutlich ist er daheim. Es gibt viel abzuwägen: die Koalition im Bund, die Aufstellung der CSU, die eigene Zukunft. „Ich schließe nicht aus, dass er sich selbst erst in letzter Minute entscheidet, die Entscheidung dann aber sehr entschieden umsetzen will“, sagt ein langjähriger Minister. Am Sonntag will Seehofer Gespräche führen, mit den Bezirksvorsitzenden und wichtigen Parteigruppierungen. Am Montag tagt dann morgens die Fraktion, ab 11 Uhr der Parteivorstand. Das will gut vorbereitet sein: So einfach wie am vergangenen Donnerstag, als Seehofer die Fraktion düpierte, dürfte es diesmal nicht ablaufen.
Mit seiner Abwesenheit entgeht Seehofer einem direkten Aufeinandertreffen mit den Abgeordneten – und einer Menge bohrender Fragen. Seehofer wollte die Fraktion übergehen, hätte lieber den Parteitag entscheiden lassen – wissend, dass Rivale Söder dort weniger Loyalitäten hat. In der Fraktion wuchs der Unmut, der Abgeordnete Ernst Weidenbusch stellte gar einen Antrag, schon am Mittwoch einen Kandidaten der Abgeordneten zu benennen. „Die Fraktion ist nicht der Wurmfortsatz, sondern die Herzkammer“, schimpfte er. Doch nach der Vereinbarung mit dem Fraktionsvorstand, nun am Montag abzustimmen (wir berichteten), zieht er den Antrag am Mittwoch zurück. Eine Abstimmung hätte eine „Riesenkonfrontation mit dem Ministerpräsidenten“ bedeutet, warnt Fraktionschef Thomas Kreuzer intern. Er sagt allerdings auch, mögliche Kandidaten sollten sich am Montagmorgen in der Fraktion melden – und nicht erst später im Vorstand oder gar auf dem Parteitag. Dann wird in geheimer (!) Wahl abgestimmt.
Das Thema ist rasch abgehandelt. Man bemüht sich um Normalität. Straßenausbaubeitragssatzung, solche Sachen. Doch über die schlechte Laune kann das nicht hinwegtäuschen. Barbara Stamm zum Beispiel: Die Landtagspräsidentin wurde von Seehofer vergangene Woche mit den ehemaligen Vorsitzenden Edmund Stoiber und Theo Waigel in ein Zukunftsgremium berufen, eine Art Kommission zur Kandidatenfindung. Allzu große Freude mag bei Stamm darüber nicht aufkommen. „Ich brauche kein Gremium, ich bin die stellvertretende Parteivorsitzende“, stellt sie klar. Es habe kein Treffen der Runde gegeben – Stoiber und Waigel waren im Ausland –, es werde auch keines geben. Seehofers Ideen haben in der Partei schon einmal größere Wirkung entfaltet.
Nun warten alle, was Seehofer am Montag vorschlägt. Schickt er wirklich Herrmann ins Rennen gegen Söder? Der Finanzminister, der offiziell ja noch gar nicht kandidiert, sieht die Sache mit dem Gegenkandidaten betont gelassen. Sein Statement nach der Fraktionssitzung dauert nur rund 45 Sekunden. „Am Ende ist es wichtig, mit Stil und Anstand unserem Anspruch gerecht zu werden.“ Dann eilt er weiter, einer Reporterin steigt er sogar ausversehen auf den Fuß.
Es gibt angenehmere Termine, so wie den am Vorabend. Markus Söder steht in Christian Schottenhamels „Menterschwaige“ und schwärmt über Bayern. Der Franke wird in den Kreis der Filserbuam aufgenommen. Die Buam, allesamt einflussreiche Mannsbilder aus Wirtschaft, Kultur oder Gastronomie, setzten dem 50-Jährigen den Hut mit dem Adlerflaum auf – und überreichten ihm einen bayerischen Löwen. „Es ist für mich eine große Ehre, in diesem Verein aufgenommen zu sein. Das ist wirklich eine tolle Truppe, die ich schon lange bewundere, weil sie sich ums bayerische Brauchtum kümmert“, sagt Söder. Und außerdem seien „die Filser die perfekte Verkörperung der bayerischen Schlitzohrigkeit“.
Ein Schlitzohr ist Seehofer freilich auch. Und Markus Söder noch nicht ganz am Ziel.