Interview mit Heinrich Bedford-Strohm

Verschieden – aber versöhnt

von Redaktion

Der 31. Oktober ist ein außerplanmäßiger, deutschlandweiter Feiertag: Am Reformationstag endet das Gedenkjahr zum 500. Jahrestag der Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers. Dieses Ereignis im Jahr 1517 gilt als Beginn der Reformation und hat zur Spaltung der Kirche geführt. Ein Jahr lang wurde in tausenden Veranstaltungen der Reformation gedacht, die die christlichen Kirchen, aber auch Staat, Kultur und Gesellschaft verändert hat. Um 15 Uhr markieren ein Festgottesdienst in der Lutherstadt Wittenberg und ein Festakt das Ende des Gedenkjahres. Mit Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und bayerischen Landesbischof, sprachen wir über ein ereignisreiches Jubiläum.

-Was war für Sie persönlich der bedeutendste Reformations-Moment im Gedenkjahr?

Zu den Höhepunkten gehört der ökumenische Gottesdienst in Hildesheim, der Buß- und Versöhnungsgottesdienst am 11. März. Persönlich hat mich dieser Moment sehr tief berührt, wo Kardinal Marx und ich uns gegenseitig die Wunden eingestanden haben, die unsere Kirchen einander zugefügt haben und um Vergebung gebeten haben. Vor dem Altar wurde aus einer Eisenbarriere ein Kreuz – und Christus als Zugang zu unserem gemeinsamen Glauben sichtbar. Das war ein besonderer Moment, der sehr tragen wird.

-Und wie sieht Ihr Resümee des Gedenkjahres aus?

Es hat uns Christen einen großen Schub gegeben, der Ökumene neuen Schwung verliehen und vielen Menschen unsere Inhalte nähergebracht. Wir haben ihnen gezeigt: Diese Reformation war eine weltgeschichtlich prägende Bewegung, die bis heute ihre Wirkungen zeigt. Und zwar für alle Menschen – egal, ob sie gläubig sind oder nicht. Wir haben den Dialog über religiöse Fragen neu angestoßen, auch mit Menschen, die sehr skeptisch sind. Viele sind neugierig geworden, weil sie gemerkt haben, da steckt doch eine Tradition dahinter, die für viele heutige Fragen etwas Wichtiges zu sagen hat.

-Es gibt aber durchaus Kritik. Theologen, allen voran der Wittenberger Friedrich Schorlemmer, sprechen von Selbsttäuschung. Er sieht keinen Erfolg, sondern geistliche Verödung, Traditionsverlust und Lethargie. Also doch eher Resignation statt Jubelstimmung?

Es gibt natürlich unterschiedliche Stimmen. Man muss das differenziert sehen. Es gab Ereignisse, wo weniger Menschen gekommen sind als erwartet – etwa bei der Weltausstellung in Wittenberg. Es hat eine Weile gedauert, bis dann immer mehr Menschen gekommen sind. Oder beim „Kirchentag unterwegs“. Aber man muss nicht über Zahlen diskutieren. Da hatte man in diesen beiden Fällen tatsächlich zu hohe Erwartungen geweckt. Trotzdem ist für mich völlig klar: Das Jahr hat in Deutschland eine Wirkung erzielt und eine Aufmerksamkeit geweckt, die keiner von uns je zu hoffen gewagt hätte.

-Ein ganzes Gedenkjahr war nicht zu viel?

Nein, überhaupt nicht. Sogar die zehn Jahre Vorbereitung haben unglaublich viel gebracht. Dass in diesem Jahr zig-tausend Veranstaltungen zum Thema Reformation stattfanden, hat natürlich auch dazu geführt, dass hier und da weniger Leute kamen. Gleichzeitig glaube ich, dass es jetzt in Deutschland nur noch wenige Leute gibt, die nicht sagen können, was Reformation bedeutet und wer Martin Luther ist.

-Mehr Mitglieder haben diese Aktivitäten der Kirche aber nicht gebracht.

Das kann man überhaupt noch nicht sagen. Das sind Langzeitwirkungen, die von vielen Faktoren abhängen. Ich glaube nicht, dass man den Erfolg dieses Jahres daran messen kann, wie viele Menschen im nächsten Jahr neu beigetreten sein werden. Da muss man viel tiefer bohren.

-Dass die Zahlen zurückgehen, ist allerdings ein Faktum.

Das schmerzt natürlich. Aber man muss dazu auch sagen, dass wir gesellschaftliche Megatrends nicht umkehren können. Dazu gehört sogar etwas, das ich ausdrücklich bejahe: dass Menschen heute – anders als früher – aus Freiheit Mitglied der Kirche sind und nicht, weil es sich so gehört. Ein Riesenunterschied! Deswegen ist die Zahl von 46 Millionen Menschen, die heute einer der beiden großen Kirchen angehören, sensationell. Denn diese Menschen tun das heute aus Freiheit, die brauchen nicht wie früher Sanktionen zu befürchten, wenn sie austreten. Und sind heute viel bewusster Mitglied der Kirche. Wir können dankbar dafür sein, dass sich in Deutschland so viele Menschen aus Freiheit als Christen verstehen. Trotzdem müssen wir bei den jungen Leuten intensiv daran arbeiten, dass der Traditionsabbruch gestoppt wird.

-Wie kann das gelingen?

Wir haben in diesem Jahr die Erfahrung gemacht, dass immer dann, wenn wir mit außerkirchlichen Kooperationspartnern – Theater oder Schulen – zusammengearbeitet haben, viele Menschen gekommen sind. Das ist für mich der Schlüssel: Nicht in den eigenen Gemeindekreisen bleiben, sondern rausgehen!

-Ökumene war ein zentrales Thema des Gedenkjahres. Was ist heute anders als vor einem Jahr?

Das allerwichtigste ist ein ungeheuer gewachsenes Vertrauen. Vor wenigen Jahren noch hat man Aussagen der anderen Seite sofort misstrauisch interpretiert. Inzwischen ist es längst so, dass nicht mehr Angst vorherrscht, dass der andere einen durch bestimmte Äußerungen abwerten will, sondern Vertrauen den Ton angibt. Auch gewachsene menschliche Beziehungen und sogar Freundschaften zwischen vielen in der Ökumene engagierten Menschen spielen eine wichtige Rolle – nicht nur bei Kardinal Marx und mir.

-Sind Sie jetzt enttäuscht, dass es in der katholischen Kirche warnende Stimmen vor zu viel Nähe gibt, wie durch den Kölner Kardinal Woelki?

Das bin ich nicht! Dass es unterschiedliche Einschätzungen gibt, war uns vorher klar. Dass nicht alle diesen Weg so begeistert mitgehen, war uns auch klar. Das ist ein Grund mehr, ins Gespräch zu kommen.

-Also nur schöne Worte und versöhnliche Gesten?

Nein, auf gar keinen Fall! Es sind nicht nur schöne Gesten! Gemeinsame Aktivitäten führen dazu, dass Vertrauen wächst. Jetzt geht es in der Tat darum, weitere Schritte zu gehen. In der katholischen Bischofskonferenz gibt es ein Papier über konfessionsverschiedene Ehen. Da bin ich sehr gespannt.

-Vom gemeinsamen Abendmahl mag man ja kaum mehr reden…

Doch, doch! Darüber wird jetzt aktuell geredet. Im Hinblick auf die Zukunft ist das natürlich ein Ziel. Ich hoffe, ich erlebe das noch. Nur müssen bestimmte theologische Fragen gelöst werden. Wir müssen die Zielvorstellungen von Ökumene näher klären: Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit ist ein Stichwort, das wir in diesem Jahr immer wieder genannt haben. Und jetzt müssen wir näher klären, was es genau heißt: Was sind Unterschiede, die einer zu begrüßenden Verschiedenheit Ausdruck geben? Und was ist wirklich noch kirchentrennend?

-Was ist der trennendste Faktor?

Aus meiner Sicht sind die entscheidenden theologischen Fragen weitgehend gelöst. Aber das ist nicht Konsens. Deswegen braucht es weiteren Dialog. Und Bewegung, auch von unserer evangelischen Seite, etwa wenn es um die Abendmahlsfrömmigkeit geht. In jedem Falle wird diese Frage nicht in Deutschland, sondern auf weltkirchlicher Ebene entschieden. Ich freue mich sehr über die Impulse von Papst Franziskus, der ja die Sehnsucht der Menschen nach dem Teilen von Brot und Wein am Tisch des Herrn sehr deutlich zum Ausdruck bringt. Er hat uns auf den Weg gegeben, hier eine Antwort zu finden. Ich glaube, wir haben den Papst in diesem Prozess hinter uns.

-In Europa vollzieht sich ein politischer Rechtsruck. In Deutschland ist die AfD drittstärkste Kraft im Bundestag. Die Kirchen haben für die politische Willensbildung keine Relevanz mehr. Bleibt ihnen nur der Rückzug in den Kirchenraum?

Ich bestreite diese These! Wir haben uns natürlich in die öffentlichen Debatten eingemischt und wurden immer wieder dafür kritisiert. Ganz offensichtlich haben wir Relevanz für die Frage – etwa, wie man mit Flüchtlingen umgeht. Aber Europa ist natürlich eine Baustelle! Ich halte es für eine ganz zentrale Frage, wie christliche Grundorientierungen in Europa wieder mehr zur Geltung kommen können. Es geht darum, dass wir ein Europa stärken, das die Menschenrechte ins Zentrum stellt, bei dem alle an der Lösung des Flüchtlingsproblems teilhaben.

-Der Reformationstag ist jetzt ein bundesweiter Feiertag. Allerdings einmalig. Sind Sie enttäuscht, dass er nicht als Feiertag bleibt?

Ich bin überhaupt nicht enttäuscht über den 31. Oktober, sondern ich freue mich! Man muss der Politik danken, dass in einem unglaublich flotten Prozess alle Bundesländer diesem Vorhaben zugestimmt haben. Es gibt ja jetzt Politiker, die einen bleibenden Feiertag befürworten. Dass ich darüber nicht traurig bin, dürfte nicht verwundern. Jetzt dürfen wir uns aber erst einmal über den Feiertag dieses Jahr freuen. Ob es in Zukunft einen zusätzlichen Feiertag geben kann, ist eine spannende Frage. Das kann der 31. Oktober oder auch der Buß- und Bettag sein. Ein zusätzlicher Feiertag wäre ein starkes Zeichen, dass es nicht nur um materiellen Wohlstandszuwachs geht, sondern auch um Beziehungs-Wohlstandszuwachs.

-Wie sollen die Menschen den zusätzlichen Feiertag nutzen?

Ich hoffe, sie nehmen wahr, dass es um einen ganz konkreten Inhalt geht. Und nehmen ihn nicht nur als Freizeitgeschenk, sondern auch als eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, was dem Leben eigentlich eine tragfähige Grundlage gibt.

Interview: Claudia Möllers

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