Die Untoten an der Regierung

von Redaktion

Die SPD will mit großer Entschlossenheit in die Opposition, ihre Minister müssen aber vorerst im Amt bleiben – bis auf eine

Berlin – Ihre letzte Dienstfahrt als Arbeitsministerin hatte für Andrea Nahles ein besonders schönes Ziel: Im Schloss Bellevue holte sich die neue Fraktionsvorsitzende der SPD gestern beim Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunde ab. Nahles wollte einen möglichst klaren Übergang in die neue Rolle. „Unser Land braucht sowohl eine arbeitsfähige Regierung als auch eine starke und verantwortungsvolle Opposition“, sagte der Bundespräsident bei der Zeremonie. Frank-Walter Steinmeier kennt sich da aus: Er selbst wechselte 2009 ebenfalls nach verlorener Wahl in den Fraktionsvorsitz, blieb aber als Außenminister noch einige Wochen im Amt.

Es ist eine seltsame Hängepartie, in die sich das politische Berlin in diesen Tagen begibt. Die Regierung ist abgewählt, will sich trennen – soll aber kraft Grundgesetz ihre Ämter weiterführen, bis eine neue Regierung steht. Und das kann dauern, die Verfassung sieht keine Fristen vor. Sondierungsgespräche laufen irgendwann im Oktober an, dann – sehr schwierige – Koalitionsverhandlungen. Der neue Bundestag konstituiert sich am 24. Oktober. Spätestens dann ist die SPD Regierung und Opposition zugleich, ein Spagat.

Nun kann man streiten, ob es von Nahles richtig ist, ihr altes Amt sofort aufzugeben. „Saubere Trennung“, loben die einen. „Verantwortungslos“, raunen die anderen. Tatsache ist, dass große Initiativen einer geschäftsführenden Regierung in dieser Übergangszeit eh nicht erlaubt sind, keine neuen Gesetze, kaum Beförderungen hoher Beamter, sie soll nur verwalten. Aber im niederschwelligen Bereich, der keine großen Schlagzeilen produziert, aber in der Summe fürs Land wichtig ist, geht es weiter.

Florian Pronold (SPD) kann das an kleinen Beispielen gut erklären. Als Staatssekretär im Bauministerium ist er zum Beispiel für den Wiederaufbau der Schinkel’schen Bauakademie in Berlin-Mitte zuständig – ein langfristiges, teures Projekt mit Ideen- und Architekturwettbewerb. Pronold leitet den Stiftungsrat. „Wenn wir da ein halbes Jahr Stillstand zulassen, verzögert sich das Projekt ein ganzes Jahr“, warnt Pronold. Deshalb sei es wichtig, dass man seine Arbeit weiterführe. Ihm selbst sei der Bereich über die Jahre sehr ans Herz gewachsen – nachlassen gilt nicht.

Doch natürlich gerät einiges ins Rutschen. In den Häusern schrumpft die Loyalität mit der politischen Führung. Als Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) 2013 ihre letzten Tage im Justizministerium verbrachte, hängten Mitarbeiter plötzlich keine gelben Christbaumkugeln mehr auf – sondern rote, es nahte ja ein SPD-Minister. Politisch ist der Effekt weniger deutlich. „Aber er nimmt Fahrt auf, wenn klar ist, wer das Ministerium künftig führt“, sagt Pronold.

Im Arbeitsministerium hat man nun eine kommissarische Lösung gefunden. Katarina Barley führt die Geschäfte. Das ist kurios, weil sie ja auch das Familienressort erst kürzlich übernahm. Bald sind dann beide Ämter wieder weg.

Schon vorher dürfte ein anderer das Kabinett verlassen: Wenn Wolfgang Schäuble am 24. Oktober Bundestagspräsident wird, gibt er das Finanzministerium ab. Offen ist, wer die Geschäfte übernimmt. Merkel könnte theoretisch auch Schäubles Staatssekretär Jens Spahn damit beauftragen – ein Zeichen an ihre Kritiker mit Blick auf die nächste Kabinettsbildung. Das wäre dann anders als bei Nahles/Barley keine pragmatische Lösung – sondern eine hoch politische. M. Schier/C. Deutschländer

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