VON SUSANNE BREIT-KESSLER*
Als Kind besaß ich zwei Meerschweinchen. Vielmehr besaßen sie mich. Denn mein Leben drehte sich um diese beiden, Schnuffi und Bienchen. Er mit langem, weichem braun-weißem Fell, sie schwarz-weiß gemustert und außerordentlich frech. Ich lernte, Verantwortung zu übernehmen. Zwei Kisten zum Wohnen mussten besorgt und regelmäßig mit frischen Sägespänen gefüllt werden. Es galt, Futter auf der Wiese zu pflücken, die Tiere sauber zu halten, ihnen vorsichtig die Krallen zu schneiden. Und natürlich, ihnen Gesellschaft zu leisten, damit sie sich nicht unnötig langweilten. Sie übten allerlei Kunststücke ein, aber nur die, die ihnen gut gefielen.
Alles in allem eine Aufgabe, die mich lehrte, die kleinen Geschöpfe mit ihren Bedürfnissen zu achten und ihre Fähigkeiten zu bestaunen. Freunde von mir haben vor kKrzem an einer Autobahnraststätte eine Holzkiste gefunden. In ihr saß ein abgemagerter schwarzer Kater. Ausgesetzt. Nach Weihnachten und kurz vor dem Sommerurlaub ist es an der Tagesordnung: Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Hasen – sie werden im Tierheim abgegeben oder in den Wald gefahren, an Laternenpfähle gebunden, in Kartons vor fremde Häuser gesetzt. Irgendwer wird sich schon um das Viehzeug kümmern, mit dem man selbst nichts mehr anfangen kann.
Eine Wegwerfgesellschaft entledigt sich rücksichtslos derer, die sie nicht weiter gebrauchen kann. Fort mit Schaden. Schaden nehmen natürlich die Tiere – aber letztlich auch die Menschen, die ein Mitgeschöpf bedenkenlos als Müll entsorgen. Oder durch bodenlosen Leichtsinn ein Inferno entfesseln wie in Krefeld. Die anhaltende öffentliche Trauer nach dem Brand im dortigen Affenhaus ist nicht etwa übertrieben oder bloß Hinweis auf die verwandtschaftliche Nähe zwischen Mensch, Gorilla, Orang-Utan und Schimpanse. Sie setzt ein Zeichen, auch im Blick auf den sonstigen Umgang mit Tieren in Industrie, Forschung und Nahrungsmittelproduktion.
Tiere sind einfach keine Sachen. Das weiß auch das Bürgerliche Gesetzbuch. Sie sind Lebewesen, die Anspruch darauf haben, dass man ihnen mit Ehrfurcht begegnet und respektvollen Abstand hält, statt sie nur zu benutzen und gebrauchen. Der schwarze Kater aus der Holzkiste hat es übrigens gut getroffen. Er trägt den Namen „Lucky“ und darf sich jetzt in einer geräumigen Wohnung samt Garten austoben. Nur dann, wenn er schwere Tritte auf der Treppe hört, beginnt er ängstlich zu zittern. Manchmal möchte man sich gar nicht ausmalen können, was Menschen sich und anderen antun.
*Susanne Breit-Keßler war evangelische Regionalbischöfin für München und Oberbayern, künftig übernimmt sie den Vorsitz des neuen bayerischen Ethik-Rates. Sie schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne im Bayernteil.
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