München – Im Stall von Gerhard Langreiter in Oberneukirchen im Kreis Mühldorf tummeln sich derzeit 170 Muttersauen. Rund 4000 Ferkel verkauft Langreiter im Jahr an Mäster aus der Region. Das Fleisch seiner Tiere landet zu großen Teilen bei bayerischen Metzgereien in der Fleischtheke und nicht in Großbritannien. „Und trotzdem wird der Brexit auch für uns Folgen haben“, sagt der Schweinebauer. Denn wenn Großbritannien die Europäische Union verlässt, geht zumindest vorerst ein wichtiger Handelspartner verloren. Nicht nur für Deutschland, sondern auch für die anderen EU-Länder. Und etwa beim Schweinefleisch bedeutet das, dass große Ferkelexporteure wie die Niederlande oder Dänemark ihre Tiere verstärkt auf dem Festland vermarkten müssen. „Das Fleisch drückt dann auch bei uns auf den Markt“, fürchtet Langreiter. Die Folge: der Preisdruck steigt.
Großbritannien produziert nur rund 60 Prozent seiner Lebensmittel selbst – und importiert deshalb viele Produkte von deutschen Höfen. Deutschland exportiere jährlich Agrargüter im Wert von 4,5 Milliarden Euro und führe britische Produkte lediglich im Wert von 1,3 Milliarden Euro ein, sagt der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Walter Heidl. „Der Handelsbilanzüberschuss beträgt 3,2 Milliarden Euro. Einen solch großen Agrarhandelsüberschuss hat Deutschland mit keinem anderen Handelspartner.“
Das Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume erwarte bei einem weichen Brexit einen Rückgang des Überschusses um ein Fünftel, bei einem harten Brexit eine Halbierung. „Wir müssen erreichen, dass die Folgen für die britischen Verbraucher und für die deutsche Landwirtschaft über Handelsabkommen abgefedert werden“, sagte Heidl. Darüber kann laut dem Brexit-Abkommen von Premier Boris Johnson bis Ende 2020 verhandelt werden.
Allein aus Bayern wurden im Jahr 2018 Agrarprodukte im Wert von knapp 400 Millionen Euro in das Vereinigte Königreich exportiert, wie Zahlen des bayerischen Landwirtschaftsministeriums belegen. Den größten Anteil daran haben Milch und Milchprodukte. So wurde etwa Käse im Wert von knapp 60 Millionen Euro ausgeliefert. Aber auch bayerisches Fleisch, Backwaren oder Hopfen und Bier aus dem Freistaat sind in Großbritannien gefragt.
Angesichts der Bedeutung Großbritanniens für die bayerische Milchbranche blicken Bauern und Molkereien mit Spannung auf die Gespräche zwischen Boris Johnson und der EU-Kommission. „Die Verunsicherung ist groß. Keiner weiß, was passiert“, sagt Wolfgang Scholz, Vorsitzender des Verbands der Milcherzeuger in Bayern. Schon jetzt werde deutlich, wie etwa Irland, das wirtschaftlich bislang eng mit Großbritannien verflochten ist, mit seinen Milchprodukten in den Markt auf dem europäischen Festland dränge. „In Irland wird ohnehin schon wahnsinnig expandiert – und jetzt wird aus Angst vor dem Brexit noch weiter angeschoben.“ Der Verbraucher bemerkt das etwa an günstiger irischer Butter im Supermarkt.
Die Brexit-Folgen treffen die gesamte EU. Laut dem Europäischen Vieh- und Fleischhandelsverband würden die Rindfleischexporte in das Vereinigte Königreich bei einem harten Brexit um 84 Prozent sinken; bei Schweinefleisch werde ein Minus von 48 Prozent und bei Schaffleisch von 76 Prozent erwartet. Langfristig rechnet der Verband mit einem Preisrückgang von fünf Prozent für Fleisch aus Deutschland.
Landwirt Gerhard Langreiter plädiert angesichts dieser prognostizierten Marktverschiebungen vor allem für eines: Nämlich bayerisches Fleisch aus der Region zu kaufen. „Wenn der Verbraucher beim Einkauf auf das Siegel ,Qualität aus Bayern‘ achtet, dann wäre uns Landwirten schon sehr geholfen.“