München – Wenn Andrei Kovacs seinen Briefkasten öffnet, dann hofft er, keinen Drohbrief darin zu finden. Kovacs ist Jude – und erlebt deshalb oft Hass. „Viele Juden haben in Deutschland Angst, den jüdischen Alltag zu leben“, erklärt der Geschäftsführer des Vereins „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. „Sie trauen sich nicht mehr mit Kippa auf die Straße und Rabbiner werden bespuckt und beschimpft.“ Der Anschlag auf eine Synagoge in Halle, bei dem im Oktober zwei Menschen ums Leben kamen, hat ihn nicht überrascht.
Um den Antisemitismus einzudämmen, gibt es seit kurzem eine Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten. Bei einer zweitägigen Tagung in München hat das Gremium jetzt darüber beraten, wie jüdische Einrichtungen besser geschützt werden können. Die Ergebnisse stellten der bayerische Antisemitismus-Beauftragte Ludwig Spaenle (CSU) sowie der Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, am Dienstag vor. „Nach Halle muss die Analyse der Sicherheitsstandards neu vorgenommen werden“, sagte Spaenle und erklärte, dass in Bayern drei Millionen Euro zur Verfügung stünden.
Für einige Bauten seien weitere Schutzmaßnahmen nötig wie eine Ausweitung der Videoüberwachung oder der Einbau von schusssicheren Scheiben und Sicherheitsschleusen, sagte Felix Klein. Genauso wichtig sei „eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen jüdischen Gemeinden und den Sicherheitsbehörden“ sowie eine Verankerung von Antisemitismus im Strafgesetz. Damit sei eine Verurteilung nicht nur wegen menschenverachtender, sondern explizit auch „antisemitischer Motive“ möglich. „Wir brauchen eine effiziente Strafverfolgung“, forderte Klein. „Die Justiz muss einen Anspruch auf Auskunft gegen die Anbieter digitaler Dienste haben.“ Wer in sozialen Netzwerken hetzt, müsse ausfindig gemacht werden können.
Denn: „Das Internet ist ein Brandbeschleuniger für die Verbreitung von antisemitischem Gedankengut“, sagte Spaenle. Die Kommission empfiehlt deshalb, das Problem nicht nur national, sondern auf EU-Ebene anzugehen, und rät der Bundesregierung, die EU-Ratspräsidentschaft 2020 zu nutzen, um Strategien im Kampf gegen Antisemitismus vorzuschlagen. In Deutschland müssten zudem laufende Gesetzgebungsverfahren zügig abgeschlossen werden. „Es geht zum Beispiel um Online- Durchsuchungen oder eine Verschärfung des Waffenrechts“, erklärte Klein. Ein Grund für die Zunahme des Antisemitismus sieht Spaenle im Erstarken der AfD: „Sie kalkuliert den Tabu-Bruch“, sagte er, „und sendet Signale an kranke Gehirne, die bereit sind, darauf zu reagieren.“
Um dem entgegenzuwirken, sind im Jahr 2021 viele Veranstaltungen zum Judentum geplant. Dann ist es 1700 Jahre her, dass in Deutschland erstmals jüdisches Leben dokumentiert wurde. „Wir möchten das mit der gesamten deutschen Gesellschaft zusammen feiern“, erklärte Andrei Kovacs, der die Planungen für das Jubiläumsjahr koordiniert. Auch in Bayern sei „ein landesweites Netz von Veranstaltungen“ geplant, kündigte Ludwig Spaenle an. CLAUDIA SCHURI