MASSGESCHNEIDERT

Urlaubstage

von Redaktion

Wenn der Maßschneider, trotz fortgeschrittenen Alters, wieder Sommerferien hätte, was würde er dann unternehmen? Mit Eltern und Schwester wieder nach Wall bei Miesbach in die Sommerfrische radeln, in einem kleinen Bauernhof übernachten, den Mangfall-Kanal entlangschwimmen, auf die Neureuth stiefeln, in der Dorfwirtschaft zu Mittag essen? Aber wo wären der Kurbi, der Phillipp, die Kathi und die Rosi, mit denen er im Heustadl Versteckerl gespielt hatte, wo Vater, Mutter und Schwester, die längst im Waldfriedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben? Und wo wäre er selber?

Tempi passati! Heute düst man an fremde Strände und verpestet die Luft. Der Maßschneider setzte sich einst in seine Karosse und fuhr über den Brenner nach Südtirol, wo er gleich mehrere Domizile hatte. Da war der kleine Weinbauer in Girlan, von wo er mit dem Rennrad den Mendelpass erklomm, aber auch das Stilfserjoch und den Karrerpass nicht links liegen hatte lassen.

Aber die Entscheidung, wohin es gehen sollte, war nicht einfach. Soll es das noble Kronsbühl bei Sankt Peter über Meran sein oder der einsame Bergbauernhof unterm Weißhorn, die Wirtschaft im abgelegenen Fersental mit einer deutschen Sprachinsel?

Diesmal, weil ihm seine Beine den Dienst versagen, bleibt er notgedrungen zu Hause. Rennrad und Tennisschläger dösen ungenutzt im Keller dahin. Zu Hause kennt er zwar jeden Winkel, weiß, wenn er eine Schublade aufzieht, was darin zu finden ist, kennt der Nachbarn ihre Mucken. Manchmal überkommt ihn freilich die Sehnsucht nach Südtirol, wo so manches anders und so vieles gleich ist, nach Bergen und Tälern vor der Haustür, nach der Südtiroler Gastfreundschaft und nach dem Südtiroler Dialekt. Da taucht so vieles aus der Erinnerung auf, doch das ist nur eine kleine Entschädigung für die Verluste.

Ein Trost ist ihm geblieben. Sohn und Tochter, selbst seine Enkeltochter aus Amerika besuchen ihn regelmäßig. Sohn Peter, Gitarrist und Bandleader der Stimulators, erfreut ihn mit gezupften Melodien, besucht ihn jeden Dienstag, tippt seine Artikel in den Computer und sendet das Maßgeschneiderte in die Merkur-Redaktion. Diese Kolumne war gleichfalls auf diese Weise unterwegs: An Guadn!

An dieser Stelle schreibt unser Turmschreiber

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