Wenn Trotz angemessen ist

Brauche ich nicht

von Redaktion

VON SUSANNE BREIT-KESSLER*

Es gibt Dinge, die lösen in mir eine erhebliche Trotzreaktion aus. Längst dem Kindesalter und der Pubertät entwachsen, erfreue ich mich in solchen Situationen einer positiven Deutung des Trotzes. Denn Trotz bedeutet eine standhafte Gegenwehr, hin und wieder von eindrucksvollen Gefühlsausbrüchen begleitet. Es geht darum, sich selbst gegen die Umwelt zu behaupten. Und das tue ich – zumal im Bereich der Mode. Die „Must-haves“ der Herbstsaison werden nämlich präsentiert.

Der Begriff „etwas haben zu müssen“ ist schon eine Anfechtung für mich. Ich muss nichts haben – schon gar nicht das, was unter dieser Etikettierung läuft. Für den kommenden Herbst hätte ich mir sonst schleunigst einen modernisierten Retro-Stil besorgen sollen – dabei hatte ich mir noch nicht einmal die Street- und Sportswear gekauft, die jetzt bereits auf dem absteigenden Ast ist. Meine feminine Seite könnte ich durch das „Prisma von Boudoir-Outfits“ deutlich werden lassen. Nachtwäsche tagsüber?

Weil eine Frau auch stark ist, muss noch eine rockige Attitüde her: Menswear, Armeeanklänge, dazu „sexy Details“ und, wenn es geht, Tendenz in Richtung Domina. Vielleicht auch eine Maske bis hin zur Vollverschleierung. Puffärmel, Ponchos, Federn und die Farben „Vanilla Custard“ und „Rutabaga“. Ersteres heißt Vanillecreme und letzteres „Steckrübe“. Nicht beschäftigt habe ich mich damit, wie ich mir die Haare schneiden müsste und die Lider bemalen, um eine It-Woman im In-Style zu sein.

Ich trotze dem allem. Und zwar richtig. Zum einen, weil – ganz abgesehen von der elenden Ausbeutung der Näherinnen – Fast Fashion mit ihren wechselnden Kollektionen alles andere als nachhaltig ist. Ein Viertel aller Wasserverschmutzungen wird durch die Textilindustrie verursacht. Pro Kopf werden in Deutschland 60 Teile gekauft, von denen 40 nie getragen werden. Stilikone Coco Chanel sagte: „Ich bin gegen Mode, die vergänglich ist. Ich kann nicht akzeptieren, dass man Kleider wegwirft, nur weil Frühling ist.“

Recht hat sie. Ich besitze Sachen, die zehn, zwanzig Jahre oder noch älter sind. Wer sich gerne etwas gönnt – die Wirtschaft muss ja auch angekurbelt werden – , der sollte sorgfältig auswählen, was ökologisch einwandfrei und von zeitlosem Schick ist. Der eigene Wert hängt nicht davon ab, ob man modisch mithalten kann. Mein Trotz ist die Außenseite von Selbstbewusstsein. Ich muss nicht erst für viel Geld etwas aus mir machen. Ich bin schon. Ein echtes „must have“, solche innere Freiheit.

*Susanne Breit-Keßler ist noch bis zum 1. Dezember evangelische Regionalbischöfin für München und Oberbayern. Sie schreibt alle zwei Wochen

eine Kolumne im Bayernteil

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