Gericht stoppt Pflege-Volksbegehren

von Redaktion

Sie hatten mehr als 102 000 Unterschriften für eine bessere Pflege in Bayerns Krankenhäusern gesammelt. Doch es wird kein Volksbegehren gegen den Pflegenotstand geben. Der Verfassungsgerichtshof erklärte das Begehren gestern für unzulässig. Für die Initiatoren war das Urteil ein Schlag ins Gesicht. Aufgeben wollen sie dennoch nicht.

VON KATRIN WOITSCH

München – Als Ica Fritz den Gerichtssaal verlässt, kann sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die 57-Jährige ist Krankenschwester in Augsburg – seit fast vier Jahrzehnten. Sie fährt vom Justizpalast in München direkt in die Klinik zum Spätdienst. Dort muss sie ihren Kollegen sagen, dass der Einsatz der vergangenen Monate umsonst war. Es wird in Bayern kein Volksbegehren „Stoppt den Pflegenotstand“ geben. Die vielen Unterschriften, die sie für eine bessere Versorgung der Patienten und bessere Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte gesammelt hatten, zählen nun nicht mehr. „Das Urteil ist für uns ein Schlag ins Gesicht“, sagt sie.

Das Bayerische Verfassungsgericht hat das geplante Volksbegehren gestern für rechtlich unzulässig erklärt. Der zugrundeliegende Gesetzentwurf sei mit dem Bundesrecht nicht vereinbar, erklärte der Gerichtshof-Präsident Peter Küspert in der Urteilsbegründung. Das bedeutet: Bayern hat schlichtweg keine Gesetzgebungskompetenz, wenn es um den Personalschlüssel in Krankenhäusern geht. Das sei Aufgabe des Bundes – und der hat bereits Personaluntergrenzen festgelegt. Mit diesem Urteil schlossen sich die Richter der Auffassung des Innenministeriums an. Es hatte das Volksbegehren für unzulässig erklärt.

Für die Initiatoren – einem Bündnis aus Politikern, Pflegern, Ärzten und Juristen – war das Urteil eine große Enttäuschung. Zwar waren sie nicht mit großem Optimismus in die Verhandlung gegangen. Denn auch in Hamburg war bereits ein Pflege-Volksbegehren vom Verfassungsgerichtshof für unzulässig erklärt worden. „Das Urteil war nicht überraschend“, sagt die Rechtsanwältin Adelheid Rupp. „Aber enttäuschend.“ Die vom Bund festgelegten Personaluntergrenzen seien etwas völlig anderes als die geforderte Personalbemessung für eine gute Patientenversorgung, betont sie.

Die Richter hatten ihr Urteil auch damit begründet, dass die geltende Rechtslage in der Begründung des Volksbegehrens unzutreffend und unvollständig erläutert werde. Das könne durch eine nachgeschobene, ergänzende Begründung nicht ausgebessert werden. Die Unterschriften wären ungültig, sobald der Text des Volksbegehrens nachjustiert werde. Diese Entscheidung des Gerichts beurteilt Rupp als verheerend. „Wir waren eine kleine Initiative“, sagt sie. „So etwas wird es künftig nicht mehr geben, wenn der bayerische Landtag nicht mit einem Gesetz mehr Flexibilität bei der Nachjustierung von Begründungen zulässt.“ In anderen Bundesländern wie zum Beispiel Hamburg sei das längst der Fall.

Aufgeben wollen die Initiatoren trotzdem nicht. „Wir werden keine Ruhe geben“, kündigt Adelheid Rupp an. Kommendes Jahr stehen in Bayern Kommunalwahlen an. „Es gibt genug engagierte Pflegekräfte, Verbände und auch Politiker, die uns helfen werden, das Thema weiterhin voranzutreiben.“ Außerdem wollen die Initiatoren für höhere Standards an den Universitätskliniken im Freistaat kämpfen. Für die ist die Zuständigkeit des Landes unbestritten.

Stefan Jagel verließ den Gerichtssaal enttäuscht. Der 35-jährige Münchner gehört zu den Initiatoren des Volksbegehrens. Er hat selbst sieben Jahre als Pfleger in der Unfallchirurgie gearbeitet und kennt den Arbeitsalltag in Krankenhäusern nur zu gut. Aus Angst, die Patienten nicht mehr richtig betreuen zu können, hat er seinen Beruf aufgegeben. „Das Urteil heute ist eine Verfestigung des Pflegenotstands“, sagt Jagel. „Die Politik hätte aktiv werden können, zum Beispiel mit einem Aktionsplan Pflege. Stattdessen wird nun gar nichts passieren.“

Auch Krankenschwester Ica Fritz fühlt sich von der Politik allein gelassen. Sie kann nicht verstehen, dass man beim Kampf für eine gute Pflege so gegen Mauern läuft, sagt sie. Ihren Beruf aufgeben will Fritz aber auf keinen Fall. „Er erfüllt mich – trotz der harten Arbeitsbedigungen.“

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