Ein Sturkopf mit Tradition

von Redaktion

Einst aus der Liturgie verbannt, ist der Palmesel heute wieder öfter zu sehen

München/Weilheim – Ob die Weilheimer am Wochenende wieder ihren „Heimatschatz“ zu sehen bekommen, hängt ganz vom Wetter ab. Denn bei Regen darf der historische Palmesel, der den Rest des Jahres im Weilheimer Stadtmuseum steht, nicht vor die Tür. Dafür ist der hölzerne Vierbeiner samt Christus auf dem Rücken – die beiden sind vermutlich mehr als 500 Jahre alt – viel zu wertvoll. Nicht umsonst wurde er vergangenes Jahr von der Staatsregierung als „Heimatschatz“ unter die 100 schönsten Museumskleinode abseits der großen Ausstellungshäuser gewählt. Wenn es Petrus gut meint mit den Weilheimern, dann darf der mittelalterliche Palmesel die Palmsonntagsprozession anführen.

Der Palmesel gehört in manchen katholischen Gemeinden Süddeutschlands noch immer zu den Palmsonntagsprozessionen wie das Buschenbinden im Vorfeld. Seine tragende Rolle im wörtlichen Sinn hat ihren Ursprung natürlich in der Bibel. Denn auf dem Rücken eines Esels ritt Jesus Christus nach dem Markus-Evangelium in Jerusalem ein – bejubelt von einer großen Pilgerschar. Schon früh erinnerte die Kirche an diese Darstellung. So ist überliefert, dass bereits im 10. Jahrhundert die Dorfpfarrer bei der Palmprozession auf einem Esel durchs Dorf zogen. Weil die Menschenmassen aber immer größer wurden und so mancher Esel gar nicht daran dachte, bei der Prozession den schnellsten Weg zurück zur Kirche zu nehmen, wurde er immer häufiger durch Holznachbildungen ersetzt – so auch in Weilheim.

Doch später verschwand der Brauch wieder beinahe vollständig. Er wurde durch gleich zwei Strömungen zurückgedrängt, wie Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege erklärt. Erst in der Reformationszeit, als sich das Christentum spaltete, dann in der Aufklärung. „Zum Ende des 18. Jahrhunderts konnten viele mit dem aus ihrer Sicht inszenatorischen Brimborium nichts mehr anfangen“, sagt Ritter. Eine ganze Reihe von Volksbräuchen wurde damals verboten, viele Palmesel zerstört. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben einige Gemeinden in Bayern ihre kunsthistorischen Kostbarkeiten wiederentdeckt. „Manche sind so schön, dass es fast zu schade ist, sie zu gebrauchen“, sagt Ritter. „Aber sie gehören zu diesem Tag, deshalb finde ich gut, wenn sie auch dafür verwendet werden.“

Besonders bekannt ist etwa der Palmesel in Kühbach im Kreis Aichach-Friedberg. Ein Oberlehrer entdeckte die verstaubte Holzstatue von 1690 vor knapp 90 Jahren, restaurierte sie und belebte mit dem örtlichen Pfarrer den Brauch wieder. Bis heute leitet der farbenprächtige Esel das Kirchenvolk am Palmsonntag zum Gottesdienst.

Genauso in Weilheim: Dort haben Museum und Kirche in einem Leihvertrag vereinbart, dass die historische Statue einmal im Jahr zum Einsatz kommen kann. Damit das historische Stück nicht zu Schaden kommt, wird es auf einem gefederten Wagen platziert. Und auf dem Rücken des Esels hinter dem Christus nimmt auch keiner mehr Platz. Das war wohl früher unter Weilheims Jugendlichen ein beliebter Sport, wie die Abnutzungsspuren an der Figur zeigen. „Da musste der Restaurator recht grob pinseln, um die Spuren zu beseitigen“, sagt der Leiter des Weilheimer Stadtmuseums, Tobias Güthner.

Und auch wenn dem Esel noch immer der Ruf des Sturkopfes vorauseilt: Einige Gemeinden setzen auch heute noch auf lebendige Esel bei der Prozession, wie etwa im Zug vor der Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt.

Abseits der Liturgie hat der Palmesel über die Jahrhunderte aber auch in Bayerns Kinderzimmern Einzug gehalten – als Gaudi-Bezeichnung für denjenigen, der am Palmsonntag am spätesten aus dem Bett kriecht. „Was heute in der Regel ein kleiner Spaß ist, war früher deutlich heftiger“, sagt Michael Ritter. Da wurde der Ministrant, der als letzter zum Gottesdienst erschien, schon mal mit einem Sack überm Kopf durchs Dorf getrieben. „Eine Gaudi war das allerhöchstens für die Treiber“, sagt Ritter. DOMINIK GÖTTLER

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