Die bayerischen Rucksackhelden

von Redaktion

Franziska und Felix laufen zu zweit durch die Mongolei. Mit Astronautennahrung und russischen Militärkarten. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Reise.

VON KATHRIN BRACK

Erst hören sie nur kehlige Laute. „Hoi, hoi, hoi!“ Franziska steht vor dem Zelt und putzt sich die Zähne, als sie spürt, dass unter ihren Füßen der Boden vibriert. Dann sehen sie und ihr Freund Felix, dass eine Horde Pferde und Yaks auf sie zuprescht. Angetrieben von einem Reiter in bunter Tracht, der seine Peitsche schnalzen lässt. Gefolgt von der Familie, auf Dromedaren und Pferden. Die Tiere schlagen einen Bogen um das Zelt, das seit ein paar Wochen das Zuhause von Franziska und Felix ist. Die beiden erleben etwas Außergewöhnliches: den Umzug einer Nomadenfamilie im dünn besiedeltsten Land der Welt.

An diesem Morgen im September 2015 waren Franziska Bär aus Schongau und Felix Consolati aus Olching im Kreis Fürstenfeldbruck schon seit 20 Tagen unterwegs. Zu Fuß durch die Mongolei. Sie sind auf ihrer Reise durch reißende Flüsse gewatet, haben ihre 20 Kilo schweren Rucksäcke über Bergkämme geschleppt und die Gastfreundschaft der Mongolen kennengelernt.

Franziska ist 22 und Felix 30, als sie beschließen, durch den Westen der Mongolei zu wandern. Seit eineinhalb Jahren sind sie ein Paar. Sie hat gerade ihr Volontariat beendet, er arbeitet als Video-Journalist in einer Online-Redaktion. „Ich hatte schon lange die Idee, eine Weltreise zu machen, bei der ich nicht weiß, wann ich zurückkomme“, sagt Franziska. Felix hat seine erste bereits hinter sich. Er trampte allein durch Kanada, segelte nach Alaska, verbrachte Monate in Zentralamerika. „Die Mongolei“, sagt er, „war immer in meinem Kopf.“

Sie soll der Startpunkt ihrer gemeinsamen Weltreise werden. „Ich konnte davor nie mit jemandem reisen“, meint Felix. „Ich dachte, dass keiner diese Wege mit mir gehen möchte.“ Franziska möchte. Also kündigt Felix seinen Job. Franziska arbeitet freiberuflich, sie braucht sich nur abzumelden. Sie sagt: „Wir wollten wissen, wie das ist, wenn man Zeit hat und nicht nach zwei Wochen zurück muss.“ Also kaufen sie Tickets, München – Ulan Bator, ohne Rückflug. Und planen ihr großes Abenteuer.

Mit dem Zelt und zwei großen Rucksäcken wollen sie in einer menschenleeren Region wandern. Es gibt keinen Reiseführer, der ihnen die Informationen dazu liefert. Kein Handyempfang, kein mobiles Internet. Mühsam studieren sie alte russische Militärkarten, die sie aus einem Archiv bekommen. Die Karten sind auf Kyrillisch und hängen heute gerahmt in ihrer Wohnung in Traunstein. Damals sind sie ihr größter Schatz, „die haben wir besser gehütet als unsere Pässe“. Sie sind neben einem GPS-Gerät die einzige Möglichkeit zur Orientierung. Die wichtigste Vorgabe für ihre Route: Sie muss in der Nähe von Trinkwasser verlaufen, am besten an einem Fluss. Trotzdem gibt es Etappen, auf denen sie Wasser in Kanistern mitschleppen müssen.

Auch deshalb achten sie beim Gepäck auf jedes Gramm. „Es war klar, dass wir ein wetterfestes Zelt brauchen und warme Schlafsäcke. Außerdem einen Benzinkocher, weil es im Land keine Gaskartuschen gibt“, sagt Felix. Sie kaufen Astronautennahrung, rationieren die Mahlzeiten. Sie feilschen um jedes Gramm: „Wir hatten überlegt, die Enden unserer Zahnbürsten abzuschneiden“, sagt Franziska. Die wenigen hilfreichen Seiten aus dem Reiseführer reißen sie heraus. „Die Kamera war der größte Luxus“, sagt Felix. „Das waren 1,5 Kilo, die ich obendrauf zu tragen hatte.“

Und sie machen einen Masterplan, mit vier Punkten. „So lange zu zweit und dann nur drei Quadratmeter zum Leben: Wir hatten beide Angst, dass unsere Beziehung das nicht aushält.“ Der Plan: Sie lassen einander nur im äußersten Notfall zurück, zum Beispiel, wenn einer sich verletzt. Sie ordnen alles ihrem Bauchgefühl unter – hat einer ein schlechtes Gefühl bei etwas, machen sie es nicht. Sie halten sich an ihre Tagesrationen. Und streiten nicht wegen Nichtigkeiten.

Eines schönen Sommertages, zwei Wochen vor dem Abflug, wollen sie ihre Pläne auf die Probe stellen. Mit einem Marsch entlang der Isar, bei dem sie ihre Mongolei-Ausrüstung und das Gepäck dabeihaben. „Ein totaler Reinfall“, sagt Felix. Die Rucksäcke scheuern, weil das Gewicht noch nicht richtig ausbalanciert ist. Franziska hat einen Infekt, Felix Kopfschmerzen. Der Benzinkocher funktioniert nicht, ihr Reisekissen haben sie vergessen. Als am Abend Nacktschnecken im Zelt über ihre Beine kriechen, sind sie „maximal entmutigt“. Franziska meint: „Ich hätte einen Rückzieher gemacht, wenn ich gekonnt hätte. Felix wusste das damals nicht – das hat er erst im Buch gelesen.“

Eigentlich habe sie gar nicht über die Reise schreiben wollen, sagt Franziska. „Wir wollten das für uns haben und noch nicht teilen.“ Doch im Sommer 2017 blieb sie beim Aufruf zu einem Autorenwettbewerb hängen. Sie grübelte, reichte eine Kurzgeschichte ein – und gewann. Es folgte die Anfrage, ein Buch zu schreiben. Ab vergangenen April schrieb sie an „Ins Nirgendwo, bitte!“, neben ihrem Job bei der Umweltorganisation Green City.

Sie erzählt vom schwierigen Start in der Provinzhauptstadt Chowd, wo sie erst kaum jemanden fanden, der sie vom Flughafen mitnahm und die Einheimischen vor der zierlichen Frau davon liefen. Von den Schwierigkeiten, einen Fahrer zu engagieren, der sie am Startpunkt in der Steppe absetzt. Von der ersten Begegnung mit Nomaden, die sie in ihre Jurte zerrten und wo sie mit Stöckchen in den Sand malten, um sich zu verständigen. Von langen Märschen in der Einsamkeit und stürmischen Nächten. Es ist ein ehrlicher Reisebericht geworden, der Schwierigkeiten nicht verschweigt, aber auch die Schönheit des Landes beschreibt.

Franziska schreibt auch vom schönsten Moment der Reise: Wie die beiden ihr großes Ziel, den Bergsee Khukh Nuur, erreichten. „Ich wollte die Zehen reinstecken, egal wie kalt es ist“, erzählt Franziska. Er war richtig kalt. Sie habe vor Glück geweint. „Nach 400 Kilometern hat man es an so einen Ort geschafft, ganz allein. Das war eine Reise, bei der viele Leute vorher zu uns gesagt haben: Oh Gott, spinnt Ihr?“

Das fragen sie sich an jenem Morgen im September 2015 selbst. Vor ihnen liegt die letzte Etappe, und sie haben eine schlimme Nacht hinter sich: Felix ist krank geworden. „Er war so schwach, dass ich mir sicher war, dass er nicht weiterlaufen kann“, sagt Franziska. Dann donnert der Nomadenumzug an ihnen vorbei. Dieses Erlebnis macht beiden Mut und lässt Franziska einen großen Teil des Gepäcks von Felix tragen.

Bevor sie elf Monate nach dem Abflug in die Mongolei nach Hause zurückkamen, besuchten sie Australien, Neuseeland, Japan und die Philippinen. „Das Krasseste hatten wir uns aber gleich für den Anfang vorgenommen“, sagt Felix. Sie seien hinterher oft gefragt worden, ob sie das Abenteuer Mongolei wieder wagen würden. „Am Anfang hätte ich gesagt: auf keinen Fall“, sagt Franziska. Inzwischen sei daraus ein „auf jeden Fall!“ geworden. Im Sommer wollen sie nach Georgien. Sie werden zu zweit durch den Kaukasus wandern.

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