Der sogenannte Palmsonntagsputsch vor 100 Jahren war ein Fanal für das blutige Ende der Revolution. Am 13. April 1919 starben am Münchner Hauptbahnhof 21 Menschen beim Versuch, Regierungstruppen zurückzudrängen, die die eine Woche zuvor ausgerufene Räterepublik stürzen sollten. Der heute kaum noch bekannte Coup wirkt wie ein Vorspiel der Gewalteskalation vom Ende April/Anfang Mai 1919, als „weiße“ Truppen die Revolution endgültig blutig niederschlugen – diesmal mit Hunderten von Toten.
Nach einer relativ friedlichen Revolutionsphase hatte sich die Situation nach der Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar zugespitzt: Nach der Ausrufung der ersten Münchner Räterepublik mit einem Zentralrat an der Spitze am 7. April 1919 (der Tag wurde sogleich zum Nationalfeiertag erklärt) waren Landtag und Landesregierung faktisch entmachtet. Die neue Räteregierung kündigte die Sozialisierung der Banken und der Presse an und begann, erste Geiseln zu verhaften. Auch nach dem Münchner Erzbischof Faulhaber wurde gesucht – vergebens, denn Faulhaber hielt sich in Freising auf. „Ich bin sehr ruhig, es wird offenbar viel für mich gebetet“, schrieb er in sein Tagebuch.
Die Landesregierung unter dem Volksschullehrer Johannes Hoffmann (SPD) floh derweil nach Bamberg und versuchte von dort, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Die Hauptrolle dabei sollte die Republikanische Schutztruppe spielen, eine 1800 Mann starke Einheit, die eigentlich gegründet worden war, um Eisner zu stützen.
Doch Eisner war tot, der Anführer der Schutztruppe, Kommandant Alfred Seyffertitz, hielt zur neuen Landesregierung. Er erhielt nun den Auftrag, den Zentralrat der Räterepublik zu stürzen.
Das waghalsige Unternehmen begann am Morgen des 13. April, dem Palmsonntag, als die Schutztruppe öffentliche Gebäude besetzte und versuchte, Funktionäre der Räterepublik zu verhaften.
Das gelang nur teilweise – Rädelsführer wie Ernst Toller blieben frei. Verhaftet wurde jedoch zum Beispiel der Anarchist Erich Mühsam, der dann mit anderen am Nachmittag des 13. April mit einem Zug nach Eichstätt und dann weiter zur Festung Ebrach transportiert wurde, wo er bis 1924 inhaftiert blieb. Während er seine Haftzeit breit schildert, gibt Mühsam in seinen fragmentarisch erhaltenen Tagebüchern leider keine Auskunft über seine Verhaftung. Im Nachhinein betrachtet war die Gefangennahme sein Glück – denn als bekannter Schriftsteller und Bohemien wäre Mühsam bei der gewaltsamen Niederschlagung der Revolution Ende April sicherlich misshandelt, wenn nicht sogar hingerichtet worden. So erging es ja zum Beispiel seinem Schriftstellerkollegen Gustav Landauer, den die Häscher am 13. April nicht erwischt hatten.
Während der vom Nachrichtenfluss abgeschnittene Mühsam in der Festung nicht wusste, wie die Revolution weitergehen würde („die völlige Ungewissheit, wie wird der Kampf enden, was wird aus dem Werk, was aus mir“, notierte er am 27. April ins Tagebuch), war der Putsch in München schon längst zusammengebrochen.
Schon im Laufe des 13. April war die Lage für die Schutztruppe kritisch geworden, weil die Führung der KPD – die an der ersten Räterepublik nicht beteiligt war – nunmehr die Chance zu einer Gegenaktion sah. Die Kommunisten um den Kaufmann Josef Sontheimer – auch er dann Ende April ein Opfer des „weißen“ Terrors – nutzten eine vom Zentralrat auf 16 Uhr angesetzte Protestkundgebung auf der Theresienwiese und riefen die Demonstranten auf, sich gegen den Putsch zu wehren.
Dann eskalierte die Situation: Von der nahen Theresienwiese strömten aufgebrachte Demonstranten zum Bahnhof, um das dort angelegte Hauptquartier der Regierungstruppen zu belagern. Dann kam es zu einem Schusswechsel – ausgelöst wahrscheinlich durch Mitglieder der Schutztruppe, die sich am Bahnhof verbarrikadiert hatten und nun bedrängt fühlten. In den dann stundenlangen Gefechten starben 21 Menschen, 80 wurden verletzt. Auch die neu gebildete „Rote Armee“ unter dem Soldatenrat Rudolf Egelhofer soll in die Kämpfe eingegriffen haben. Das legt auch der Augenzeugenbericht eines Schülers nahe, der schrieb, er habe „angekommene Soldaten“ gesehen, die mit Gewehr- und Maschinengewehrfeuer die Bahnhofswache angegriffen hätten.
Gegen 21 Uhr gaben die Mitglieder der Schutztruppe auf und flohen. Noch am selben Abend rief der Kommunist Eugen Leviné im Hofbräuhaus die zweite, diesmal rein kommunistische Räterepublik aus. Diese hielt kaum zwei Wochen – dann kam das endgültige Ende für alle Räteexperimente.
Nur wenige Informationen liegen über den mutmaßlichen Hauptverantwortlichen der Schießerei vor, den damals 33-jährigen Emil Aschenbrenner. Der Weltkriegssoldat (zwei Mal verwundet, „gaskrank“, heißt es in der Kriegsstammrolle) war eine zentrale Figur beim Versuch der Republikanischen Schutztruppe, Schaltstellen der Macht in München zu erobern. Aschenbrenner fungierte als Kommandant am Hauptbahnhof, wo es dann zu der verhängnisvollen Konfrontation kam. Nach der Schießerei soll er auf einer Lokomotive entkommen sein. Aschenbrenner war später kurze Zeit in der bayerischen Landespolizei, Ende 1920 schied er aber aus. Danach verliert sich seine Spur.
DIRK WALTER