Der Oberschleißheimer Ortschronist Otto Bürger, 79, steht in seinem Kellerraum, der inzwischen ein kleines Museum geworden ist. Bürger deutet auf mehrere bunte Kalender, auf denen das Münchner Kindl zu sehen ist. Dann zieht er ein Blatt mit einem Reichsadler aus einem Stapel.
Bürger besitzt außerdem Vorlagen für Scherenschnitte, das bayerische Staatswappen von 1923, Dutzende andere Wappen aus ganz Deutschland, Wappenbücher, alte bayerische Banknoten, Briefmarken mit dem bayerischen Löwen und verschnörkelte Weinetiketten, auf denen Dinge stehen wie „Niersteiner Fritzenhölle“ oder „Oppenheimer Kreuz Riesling“.
Bürger wurstelt noch ein bisschen in der Gegend rum, dann sagt er: „Eigentlich müssten es drei Menschen gewesen sein, die das alles geschafft haben.“
Aber es war nur ein Mann. Sein Name: Hermann Joseph Otto Hubert August Constantin Hupp, Jahrgang 1859. Sein Berufe: Kunstmaler, Nebenerwerbslandwirt, Grafiker, Sammler, Graveur, Wappenmacher, Wappensammler und Wappenerfinder. Vor 70 Jahren ist Otto Hupp gestorben. Er lebte in Oberschleißheim. Hier gibt es heute noch eine Hupp-Villa und sogar einen Hupp-Wald, den er angelegt hat.
Seit über 30 Jahren forscht Otto Bürger zu Otto Hupp. Er ersteigert alles, was er in die Hände bekommt. 1000 Stücke hat er bestimmt schon. Und Bürger hat einen Traum: eine große Hupp-Ausstellung zum 70. Todestag. Der Oberschleißheimer Ortschronist sagt: „Sein bedeutendstes Werk war ganz bestimmt das Signet der Spatenbrauerei.“ Hupp war es, der 1884 als 25-Jähriger das berühmte Logo entworfen hat – ein weißer Spaten vor rotem Grund. Das Logo ziert heute noch jede einzelne Flasche der Münchner Brauerei. Es hat Spaten weltberühmt gemacht. Auch wer den Namen Otto Hupp noch nie gehört hat, seine Werke begegnen einem heute noch im Alltag. Er hat das Oberschleißheimer Gemeindewappen entworfen, von ihm ist das Wappen der Landeshauptstadt Düsseldorf, das Wappen von Unterfranken, Finsterwalde, Hoyerswerda, der Provinz Oberschlesien, der Rheinpfalz oder Hassloch. Im ganzen Land findet man Hupp-Wappen. Er war es auch, der das Schlierseer Ortswappen Mitte der 1920er-Jahre überarbeitete – auf ihm sieht man bis heute Papst Sixtus II., der auf einem goldenen Stuhl sitzt. Hupp war ein Vielarbeiter, ein Dauerarbeiter. Ein Workaholic würde man heute sagen. Er entwarf auch ein Wappen des Freistaats Bayern, das allerdings später durch eine modernisierte Version ersetzt wurde.
In einem Brief mit fast 75 Jahren schreibt er: „Alle Berufsgenossen jammern, nichts zu tun zu haben, darüber brauche ich nicht zu klagen, denn sonn- und werktags muss ich von morgens 8 bis abends 10 Uhr, zwei Mittagsstunden ausgenommen, ununterbrochen schanzen. Aber was sind’s für Arbeiten? Endlose Kleinigkeiten, die weit mehr Schreiberei als Kunst kosten und dabei wenig mehr als das Brot zu dem Lebensunterhalt einbringen, den die Landwirtschaft (…) einträgt.“
Hupp war fleißig und extrem geizig. Wenn er einen Termin in München hatte, erzählt Hupp-Forscher Bürger, dann ist er manchmal von seiner Villa in Oberschleißheim aus zu Fuß gegangen, um das Ticket in der Eisenbahn zu sparen.
Es war das Zeitalter der Wappen, in dem Hupp lebte. Wappen waren den Menschen so wichtig wie heute die Bilder von sich auf Facebook oder Instagram. Wer ein schönes Wappen hatte, der war wer. Das ging bis tief in bürgerliche Kreise. „Ein Metzger, der reich war“, sagt Otto Bürger, „der hat sich mit einer Kuh oder einem Stier abbilden lassen.“
Es gab Zeiten, da hatte fast jeder deutsche Haushalt ein paar Werke von Hupp daheim – wahrscheinlich, ohne es zu wissen. Die Firma Kaffee HAG hat ab 1913 Wappen als Sammlermarken und Sammelalben herausgegeben. Über 3400 verschiedene Marken sind bekannt – alle gestaltet von Hupp. Tiere, Fabelwesen, Waffen, Schiffe, Menschen, Fahnen: Hupps Welt der Wappen ist bunt und vielfältig. Millionenfach lagen die Bildchen in deutschen Haushalten.
Hupps größte Leidenschaft galt aber einer anderen Sachen – dem Münchner Kalender. Er erschien ab 1885 in 51 Ausgaben. Der erste Jahrgang mit 5000 Stück war schnell vergriffen, in manchen Jahren verkaufte er 17 000 Stück. Er gestaltete die Wandkalender von der ersten bis zur letzten Seiten selbst – auf dem Titelbild war bis auf eine Ausnahme immer das Münchner Kindl zu sehen. Das war das Erkennungszeichen.
Der Bayerische Löwe, die Patrona Bavariae oder die Wappen der acht bayerischen Bistümer – Hupp hat sich immer wieder in der bayerischen Geschichte bedient. Aber er hat auch einige Irrwege eingeschlagen. Über das Familienwappen der Görings schreibt Hupp in einem seiner Kalender: „Hermann Göring, der getreue Paladin unseres Führers Adolf Hitler, der Staatsmann von Format und kampferprobte Soldat, vereinigt sozusagen Norddeutschland und Süddeutschland in seinem Ahnenerbe.“ Dieser Teil seiner Geschichte ist noch kaum erforscht.
Zu Hupps 90. Geburtstag war 1949 in New York eine Ausstellung geplant, aber der Oberschleißheimer Wappenmacher starb kurz davor. Sie wurde abgesagt. Otto Bürger will das jetzt 70 Jahre später in München nachholen. „Es soll noch dieses Jahr klappen“, sagt er. Unbedingt.